Das Nest des Teufels (German Edition)
gehabt!»
«Unseren Unterlagen zufolge spricht er oft von seiner Tochter und vermisst sie sehr. Für den Genesungsprozess könnte es nützlich sein, seine Angehörigen in die Therapie einzubeziehen.»
Ich brachte kein Wort heraus. Die Frau redete weiter. Sie berichtete, dass Keijo am vorigen Abend seine Einheit für betreutes Wohnen in Kuopio verlassen hatte und seither unauffindbar gewesen war. Er komme durchaus in der Freiheit zurecht, sofern er daran denke, seine Medikamente zu nehmen. In den letzten Tagen habe er es offenbar vergessen, aber man könne niemanden zu medikamentöser Behandlung zwingen.
«Was passiert jetzt mit ihm?»
«Wir nehmen ihn wieder bei uns auf und beobachten die weitere Entwicklung. Er darf aber Besuch empfangen. Herzlich willkommen.»
«Danke, darauf kann ich verzichten», versetzte ich und gab Turunen das Handy zurück. Dann ging ich ins Haus, auch ich brauchte ein Glas Saft. Ich blickte dem Streifenwagen nicht nach, als er über den schmalen Weg in Richtung Kuopio davonfuhr. Turunen hatte zwei Versprechen abgegeben: mich telefonisch auf dem Laufenden zu halten und Perttula an der Tankstelle in Tuusniemi Kaffee und einen Berliner zu spendieren.
«Das war’s dann also», sagte Matti Hakkarainen. «Kommt ihr beiden jetzt allein zurecht, oder soll ich mit Teddy hierbleiben? Ihr müsst schon bald aufbrechen, oder? Kommt ihr auf dem Weg noch bei uns vorbei? Maija ist bestimmt ganz aufgelöst.»
«Wir kommen schon zurecht, stimmt’s, Vanamo?» Meine Schwester nickte. Sie vergrub das Gesicht in Teddys Fell, dann umarmte sie Matti, und wir begleiteten Mann und Hund zum Bootssteg, den ich mit ganz anderen Augen betrachtete, weil ich nun wusste, was dort geschehen war. Offenbar hatte Keijo, nachdem er Jari getötet hatte, die Ruder abgespült und das Boot auf den See treiben lassen, nachdem er zuvor sich selbst an Land gerudert hatte. Das konnte man durchaus als planmäßiges Handeln bezeichnen – sprach das nicht gegen Kurkimäkis Unzurechnungsfähigkeit?
Obwohl ich keinen Hunger hatte, machte ich uns Pesto-Thunfisch-Pasta und Tomatensalat. Vanamo aß zwar, wirkte aber nachdenklich. Sollte ich Saara anrufen und ihr erzählen, was passiert war? Dann konnte sie entscheiden, wie ich auf der Rückfahrt mit Vanamo über den Vorfall sprechen sollte.
Ich sagte, ich ginge aufs Klo, wanderte in Wahrheit aber fast bis ans Ende der Landspitze, bevor ich Saaras Nummer wählte.
Saara hörte mir schweigend zu, nur ihr heftiger Atem verriet, dass sie noch am Apparat war.
«Vanamo ist also nicht verletzt?», fragte sie schließlich.
«Nein. Ich hätte Keijo eher erschossen, als zuzulassen, dass er dem Kind etwas tut. Wenn Vanamo noch einmal fragt, wer der Mann war, soll ich es ihr erzählen, oder willst du das tun?»
«Sag ihr ruhig die Wahrheit. Wie geht es dir denn?»
«Mir? Ich bin solche Situationen gewohnt.»
«Daran gewöhnt, beinahe jemanden zu töten?», fragte Saara, und in ihren Worten lag nicht die leiseste Ironie.
Als ich zurückkam, fragte Vanamo, ob ich Bauchschmerzen hätte, weil ich so lange auf dem Klo war. Ja, antwortete ich. Sie wollte einen neuen Strauß Siebensterne für Frida pflücken, und diesmal begleitete ich sie. Als wir die weißen Blumen auf das Luchsgrab stellten, dachte ich an den anderen Toten dieser Insel, an Onkel Jari. Wenn ich ihn jetzt fragen könnte, was ich tun sollte, was würde er antworten?
«Du hast mir noch nicht erklärt, warum der Mann geglaubt hat, ich wäre du», erinnerte mich Vanamo, als wir unser Gepäck im Wagen verstauten.
«Wir sehen uns so ähnlich.»
«Der Mann hat dich also gekannt, als du klein warst?»
«Ja. Das war unser Vater. Er meint es nicht böse, er versteht nur nicht, was er tut. Deshalb müsste er in der Klinik sein und nicht auf freiem Fuß.»
Vanamo runzelte die Stirn und schluckte schwer. «Opa sagt, er ist ein böser Mann und muss für den Rest seines Lebens im Gefängnis sitzen. Warum ist er nicht mehr dort?»
«Die Ärzte wollten probieren, ob er sich anständig aufführen kann. Wie es scheint, kann er das nicht. Irgendwann kommt die Polizei und redet mit dir, deine Mutter ist dann dabei. Erzähl einfach, was passiert ist. Du brauchst keine Angst zu haben.»
Ich konnte Vanamo nicht bitten, um meinetwillen zu lügen. Natürlich würde ich der Helsinkier Polizei erklären müssen, warum ich ihren Kollegen gegenüber die Waffe nicht erwähnt hatte. Aber ich würde genug Zeit haben, mir eine Erklärung zurechtzulegen,
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