Das Nest des Teufels (German Edition)
dieser Fall zählte sicher nicht zu den allerdringlichsten.
Plötzlich trat Vanamo so fest gegen eine drei Meter hohe Kiefer, dass ein paar Zapfen herunterfielen.
«Ich will nicht, dass ich sein Kind bin!», schrie sie und trat erneut gegen den Baumstamm. Borkenstücke rieselten herunter. «So einen Vater will ich nicht! Ich hasse ihn, ich hasse ihn!» Sie lief zum Ufer. Ich setzte ihr nach und holte sie schon vor dem Geröll ein. Als ich sie an der Schulter fasste, schrie sie wütend:
«Willst du die Tochter von so einem Verrückten sein?»
«Nein», antwortete ich. Es war sinnlos, irgendetwas zu beschönigen. «Aber wir können es uns nicht aussuchen. Mich macht es auch wütend.»
«Ich hätte lieber so einen wie Jouni zum Vater. Der sieht so aus, dass man Angst kriegt, aber er ist nett. Nicht so seltsam wie der andere.»
«Du bist deswegen aber noch lange nicht seltsam», sagte ich und schlang die Arme um Vanamo. Schließlich nahm ich sie huckepack und trug sie zur Hütte.
Auf der Rückfahrt redeten wir über Vanamos Pläne für die Sommerferien und über die Hochzeit, die mich erwartete, kamen zwischendurch aber immer wieder auf das zurück, was am Morgen passiert war. Saara erwartete uns mit dem Hund vor dem Haus, die Katzenjungen balgten sich auf der Treppe. Mutter und Tochter umarmten sich lange, dann begann Vanamo zu erzählen.
«Hilja hat gesagt, lass sie los oder ich schieße, und da hat er mich losgelassen, und ich bin ins Haus gelaufen und hab Matti angerufen, und der ist dann zu Hilfe gekommen. Ich hatte ein bisschen Angst, oder eigentlich ganz schrecklich viel. Aber zum Glück war Hilja da», hörte ich Vanamo stammeln. Nun klang ein Weinen in ihrer Stimme mit. Ihre Mutter war diejenige, der sie ihre tiefsten Gefühle offenbarte. Ich war nur eine fast unbekannte Schwester, die erst vor einigen Monaten in Vanamos Leben getreten war.
«Spiel du mit den Kätzchen, ich will mich ein bisschen mit Hilja unterhalten», sagte Saara, als Vanamo sich alles von der Seele geredet hatte und ruhiger geworden war. Wir setzten uns auf die Gartenschaukel hinter dem Haus, wo ich den Vorfall noch einmal schilderte.
«Warum hattest du die Waffe dabei?», unterbrach mich Saara, als ich an dem Punkt angelangt war, wo ich auf Keijo Kurkimäki zielte.
«Die trage ich fast immer, das gehört zu meinem Beruf.»
«Ein schrecklicher Beruf. Erzähl weiter.»
Ich erzählte ihr alles bis auf das, was Kurkimäki mir über Onkel Jaris Tod enthüllt hatte. Als ich mit Matti Hakkarainen und den Polizisten gesprochen hatte, war ich kühl und gefasst gewesen. Jetzt hatte ich das Gefühl, dass nicht nur die Schaukel, sondern die ganze Welt schwankte, als ich berichtete, wie Keijo mich angefallen hatte, ohne sich von der Waffe abschrecken zu lassen.
«Ich hatte plötzlich keinen Mut mehr! Mein Leben lang habe ich mich an dem Mistkerl rächen wollen und mir genüsslich ausgemalt, wie ich ihm den Garaus mache. Für meine Mutter und für dich, für uns alle! Aber als es ernst wurde, war ich doch nicht dazu fähig. Nun muss Vanamo sich davor fürchten, dass der Kerl wieder ausbricht!» Krampfhaft schluckte ich die Tränen hinunter, aber sie liefen mir trotzdem über das Gesicht. «Ich kann niemanden beschützen, nicht mal meine Schwester.»
«Natürlich kannst du das. Keijo hat nicht noch mehr Böses anrichten können. Und du hast dir selbst nichts Böses zugefügt. Eines Tages wirst du darüber froh sein.» Das Kreuz an Saaras Hals schlug mir gegen die Wange, als sie sich zu mir beugte, um mich zu umarmen.
Die Fahrt nach Helsinki erschien mir unendlich lang, obwohl ich so schnell raste, wie ich es nur wagte. Eine Buße wegen überhöhter Geschwindigkeit war ein Klacks im Vergleich zu dem, was am Morgen passiert war. Saara hatte mir keineswegs verboten, Vanamo wiederzusehen, sondern angekündigt, sie würden mich im Juli in Helsinki besuchen, wenn Saara Urlaub hatte. Wegen Vanamos Befragung würden wir ständig in Verbindung bleiben. Vanamo hatte mich zum Abschied umarmt wie immer und wieder gefragt, ob ich eins von den Katzenjungen mitnehmen wolle, als Ersatz für Frida.
Auf der Autobahn Lahti-Helsinki stellte ich den Tempomat auf hundertachtunddreißig ein und hoffte, keinem Polizeifahrzeug zu begegnen. Was würde Keijo seinem Therapeuten erzählen? Er hatte doch wohl einen? Oder beschränkte sich die Behandlung heutzutage auf die Verschreibung von Medikamenten? Die Ärzte im Psychiatrischen Gefängnis Niuvanniemi konnten
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