Das Nest des Teufels (German Edition)
oder? Du bist inzwischen offenbar gut Freund mit Gezolian. Ihn hast du aufgefordert, obwohl du mir gesagt hast, du könntest bei der Arbeit nicht tanzen.»
Wir tanzten an Paskewitsch vorbei, der die üppigste von Julias Freundinnen in den Armen hielt. Ich legte den Kopf an Juris Schulter.
«Ich fahre morgen mit Gezolian nach Kopparnäs. Dort sind auch andere.»
«Stahl also?» Juri legte die linke Hand an meine Wange und zwang mich, ihm in die Augen zu sehen.
«Ja.»
«Warum erzählst du mir das?»
«Weil ich dir vertraue.»
«Du vertraust mir? Bist du sicher, dass das klug ist?»
«Nein, aber an der ganzen Sache ist überhaupt nichts klug. Wenn es mir schlecht ergeht, weißt du wenigstens, dass ich dir vertraut habe.»
Juri drückte seine Lippen auf meine Wange. Im selben Moment spürte ich einen Schlag im Rücken, dann wurde ich von Trankow weggerissen. Im ersten Moment dachte ich, es sei David, dann sagte mir mein Verstand, dass er es nicht sein konnte. Der Angriff kam von Ulla Beck.
«Ich bin an der Reihe», sagte sie in einem Tonfall, als hätte ich mich an einer Ladentheke vorgedrängt. Da ich keine Szene provozieren wollte, überließ ich ihr Juri und hoffte, dass er auf sich aufzupassen wusste.
Der Rest des Abends verlief turbulent, aber die Aufgaben des Sicherheitspersonals beschränkten sich darauf, die betrunkensten Gäste in Taxis zu verfrachten. Das frischverheiratete Paar brach gegen Mitternacht auf. Lescha chauffierte die beiden. Inzwischen brachte Hanna die alte Frau Gezolian zum Bulevardi. Ich betrachtete die Paare auf der Tanzfläche. An einem Ecktisch unterhielt sich Gezolian mit Paskewitsch, und ich begriff, dass ich immer noch nicht wusste, was Paskewitsch auf der Hochzeit zu suchen hatte. Würde er Gezolian von meiner Maskerade erzählen?
Von Jaan kam wieder eine SMS . «Kommt in den Gasthof. Haus Kupfer eins, Zimmer eins. Wir sind für alles gerüstet.»
Ich löschte die Nachricht und ging kurz nach draußen. Pete organisierte die Taxis, Herr Beck suchte seine Frau. Es war die dunkelste Stunde der Nacht, bald würde sich wieder Licht über die Stadt legen. Im Osten schimmerte es blutrot, der Anblick ließ mich zusammenfahren. Es war, als sähe ich die Sonne zum letzten Mal aufgehen.
29
Der Junitag war von perfekter Schönheit: Die Sonne schien, die Bibernellrosen blühten, die Natur war nach dem Regenschauer in den frühen Morgenstunden wie blank geputzt. Ich lenkte Syrjänens Audi über die Straße nach Kopparnäs, vorbei an dem alten Pfarrhof und dem prächtigen Schulhaus, das ich mir zu gern einmal von innen angesehen hätte. Hinter einem Acker mit Feldbohnen blinkte das Meer, Schwalben schossen über die Stromleitung zwischen zwei Häusern. Neben mir saß Iwan Gezolian und überprüfte den Schalldämpfer seiner Nagant. Da er mich vor dem Aufbruch abgetastet hatte, war ich unbewaffnet. Ohne meine Glock fühlte ich mich halb nackt.
Gezolian hatte mir nur knappe Anweisungen erteilt. Ich sollte ihn nach Kopparnäs zu David Stahl bringen. Die Information, dass David etwas suchte, hatte ihn beunruhigt, daher überraschte es mich nicht, als er mir befahl, nicht zum Gasthof abzubiegen, sondern weiterzufahren. Nach etwa zweihundert Metern ließ er mich anhalten und wies mich an, im Wagen zu warten. Er wollte also sein Versteck in der Ruine des Kuhstalls überprüfen. Ich wusste, dass er dort nicht finden würde, was er suchte. Hastig informierte ich Jaan in einer SMS , die ich sofort nach dem Absenden löschte. Hoffentlich war Jaan klug genug, nicht zu antworten, denn ich konnte mein Handy nicht stummschalten, weil ich Gezolian versprochen hatte, erreichbar zu sein.
Bei dem herrlichen Wetter waren viele Urlauber unterwegs, in den wenigen Minuten von Gezolians Abwesenheit fuhren ungefähr zehn Autos und die gleiche Menge Fahrräder vorbei. Das tröstete mich ein wenig. Gezolian hatte sicher nicht vor, in aller Öffentlichkeit zu morden. Andererseits traute ich ihm durchaus zu, David ohne Rücksicht auf die Folgen zu erschießen, wenn er begriff, dass dieser ihm auch den Rest seiner Isotope entwendet hatte. Ein Teil von mir wollte einfach Gas geben, nach Turku rasen, das erstbeste Schiff nehmen und verschwinden. Der blutrote Sonnenaufgang war mir die ganze Nacht durch den Kopf gespukt, ich hatte kaum Schlaf gefunden. In einem kurzen Traumfetzen hatte ich meine Mutter gesehen, die sagte, sie erwarte mich.
Als Gezolian zurückkehrte, war seine Miene unheilverkündend.
«Du hast
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