Das Nest des Teufels (German Edition)
Abendessen gibt. Die gnädige Frau ist sauer und sagt, sie habe keinen Hunger. Was ist ihr denn diesmal über die Leber gelaufen?»
Ich erzählte ihr kurz angebunden von dem verschollenen Koffer. Es war mir ganz recht, dass Hanna nicht versuchte, ein geheimes Einverständnis zwischen uns zu schaffen. Wir standen zufällig im Dienst derselben Leute und mussten deshalb miteinander auskommen, aber mehr auch nicht.
Die Wohnung war vor Zeiten für eine herrschaftliche Familie gebaut worden, hatte aber nur ein Dienstbotenzimmer, das Hanna für sich beanspruchte. Mir war das kleinste Schlafzimmer zugewiesen worden, zwei Türen neben Julias Zimmer. Syrjänen und Julia hatten separate Schlafzimmer, aber in beiden stand ein Doppelbett. Juri war in einem hellen Raum neben dem Esszimmer untergebracht, der offenbar ursprünglich als Bibliothek oder Musikzimmer gedient hatte. Er hatte eine Schiebetür, die man nicht abschließen konnte.
Ich packte meinen Koffer aus und brachte die Wäsche in den Hauswirtschaftsraum. Von dort würde Hanna sie in die Wäscherei bringen. Ich hatte mich nur schwer daran gewöhnen können, dass meine Unterwäsche von Fremden gereinigt wurde. Allerdings gab sie ja nichts über mich preis, sie war neutral und sportlich. Die feineren Dessous, die ich nur selten verwendete, wusch ich selbst. In Leysin hatte ich keine Spitzen und Strumpfbänder getragen, doch das hatte David nicht gestört.
Kurz vor acht hörte ich die Tür gehen. Da von den fünf Personen, die einen Wohnungsschlüssel besaßen, vier bereits anwesend waren, musste der Ankömmling Trankow sein. Ich ging ihm entgegen, doch Hanna war ebenfalls zur Stelle.
«Heute kein großes Abendessen. Julia hat keinen Hunger, also will der Herr des Hauses auch nichts. Juri, soll ich dir etwas kochen, Nudeln zum Beispiel? Hilja hat wohl schon im Flugzeug gegessen, wie Julia.»
«Nudeln wären mir trotzdem recht», sagte ich rasch. Ich sah Juri an, dass er sich vor meiner Strafpredigt fürchtete. «Ich komm gleich mit in die Küche und trinke ein Glas Saft, ich bin durstig von der Arbeit», sagte er und flüchtete sich buchstäblich in Hannas Reich.
Ich traute Hanna nicht über den Weg. Sie hatte schon für Syrjänen gearbeitet, als er zum ersten Mal verheiratet war; allmählich war sie vom Hausmädchen zur Haushälterin aufgestiegen. In Hiidenniemi hatte sie Wasiljew und David gesehen, und sie war keineswegs dumm. Sicher war sie fähig, sich ein Urteil über die Art von Syrjänens Geschäftstätigkeit zu bilden. Bisher waren mir noch nicht viele Erpresser über den Weg gelaufen, aber Hanna passte genau ins Profil.
Schließlich kam auch Syrjänen dazu und aß mit uns Pasta cacio e pepe. Beim Arrival Service hatte man versprochen, sich zu melden, sobald der Verbleib von Julias Koffer geklärt war. Trankow war schweigsam und Syrjänen nervös, und ich fühlte mich nicht zur Stimmungsmacherin berufen. Deshalb konnte ich in aller Ruhe essen. Als ich gerade fertig war, kam eine SMS von der Schnepfe am Arrival Service. Der verschollene Koffer war in Paris gefunden worden und würde am nächsten Tag ins Haus geliefert werden.
«Du kannst Julia gute Nachrichten bringen», sagte ich zu Syrjänen, der daraufhin erklärte, er nehme doch einen Schluck Cognac. Juri bat Hanna um Kaffee. Ich behauptete, ich ginge schlafen, legte mich in Wahrheit aber angekleidet aufs Bett und schloss die Augen. Es war absurd, mit vollem Magen zu meditieren, aber eigentlich tat ich das auch gar nicht, sondern versuchte lediglich, an nichts zu denken.
Darüber musste ich eingeschlafen sein, denn als ich aufstand, weil mich die Blase drückte, war es bereits Viertel vor elf. Auf der Toilette wusch ich mir auch gleich das Gesicht. Es war still in der Wohnung. In Julias Zimmer brannte kein Licht, Hannas Reich lag außer Sichtweite. Syrjänen saß mit Kopfhörern vor dem Fernseher und guckte einen Porno. Also schlief Julia schon, denn sonst hätte er es nicht gewagt. Die Begegnung zwischen zwei Frauen und einer Massagedusche nahm ihn so gefangen, dass er mich gar nicht bemerkte.
Unter der Tür zu Juris Zimmer drang ein schmaler Lichtstreifen hervor. Juri, der am Computer saß, zuckte zusammen, als ich die Tür hinter mir schloss.
«Was willst du, Hilja?»
«Das weißt du ganz genau. Ich will eine Erklärung, du Arsch! Warum hast du mir nicht gesagt, dass Julia die Tochter von Iwan Gezolian ist?»
Juri hatte Zeit gehabt, sich eine Erklärung zurechtzulegen. Er schaltete den Computer
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