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Das Nest des Teufels (German Edition)

Das Nest des Teufels (German Edition)

Titel: Das Nest des Teufels (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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dachte an die Jugendfotos meiner Mutter. Sollte ich sie Juri geben und ihn bitten, danach ein Porträt zu malen? Das würde er können, er war gut darin, die Wirklichkeit zu kopieren. Ich müsste ihn nur ermahnen, auf einen dramatischen Hintergrund zu verzichten.
    Ich fragte Laitio per SMS , wann ich ihn mit meinen Mitbringseln besuchen könne. Juri kam aus der Dusche, nur mit einem Handtuch bekleidet, aber er weckte kein Begehren in mir, nur den Wunsch, mich möglichst bald in meinem Zimmer einschließen zu können. Er ging zum Kühlschrank und holte eine bereifte Wodkaflasche aus dem Gefrierfach. Sie war noch fast drei viertel voll.
    «Kannst du auch auf dem Rückweg fahren?», fragte er, und als ich bejahte, goss er drei Fingerbreit von der eiskalten Flüssigkeit in ein Wasserglas. Nach dem ersten Schluck zog er eine Grimasse.
    «Normalerweise gibt man einem zum Tod Verurteilten vor der Vollstreckung des Urteils einen Schnaps», sagte er und kicherte wie ein kleines Mädchen. Ich überlegte, wann das Lachen in Weinen umschlagen würde. Es war mir immer peinlich gewesen, mit anzusehen, wenn jemand weinte, ob Mann oder Frau, außerdem fürchtete ich, Juri würde mich anstecken, wenn er zu heulen begann.
    Ich schloss den Wagen auf. Dann nahm ich die Waffe von der Rückbank, schnallte mein Holster ab, steckte den Revolver hinein und legte das Ganze ins Handschuhfach. Falls die Polizei uns anhielt, war die Waffe wenigstens nicht auf den ersten Blick zu sehen. Juris Atem stank nach Wodka, der Geruch füllte den ganzen Wagen. Der Schneeregen hatte sich in richtigen Schnee verwandelt, an der Kreuzung beim Golfplatz kam uns ein Schneepflug entgegen. Mir knurrte der Magen, ich brauchte eine Portion extra scharf gewürztes Kebab, und ein großes Bier dazu war auch nicht schlecht.
    «Ich habe vergessen, dir etwas Wichtiges zu erzählen. Etwas, was ich selbst erst kurz vor Weihnachten erfahren habe. Die letzte Flucht meines Vaters hatte Folgen. Er hat eine Siebzehnjährige vergewaltigt. Jetzt hat sie eine Tochter, sie ist inzwischen neun. Vanamo. Meine Halbschwester.»
    Juri saß mit geschlossenen Augen neben mir und antwortete nicht gleich. Nach einer Weile legte er die linke Hand auf mein Knie und streichelte es langsam.
    «Sie ist es also, um die du Angst hast?», fragte er so leise, dass der Motor seine Stimme fast übertönte.
    «Ja. Wenn sie mich braucht, muss Julia zurückstehen. Vanamo ist immerhin meine Schwester, auch wenn wir auf unseren gemeinsamen Vater nicht gerade stolz sein können.»
    «Auch das verbindet uns, Hilja, wir haben beide einen beschissenen Vater», flüsterte Juri und legte den Kopf an meine Schulter. Ich schüttelte ihn ab, aber ich tat es sanft.
    Dann schaltete ich das Radio ein. Der Sprecher kündigte eine Kostprobe von der bald erscheinenden Platte einer Band an, deren Mitglieder entfernte Verwandte von Monika waren. Es handelte sich um eine aus dem Album ausgekoppelte Single mit dem Titel
Miracle
. Monika mochte die Musik der Band, sie hatte sie gelegentlich im Sans Nom laufenlassen, wenn die Gäste gegangen waren und das Personal die Tische abräumte. Dann brauchte man keine Rücksicht auf den Geschmack der Gäste mehr zu nehmen, jeder legte abwechselnd seine Lieblingssongs auf. Ich hatte zum Ärger der anderen manchmal Musik von den Eläkeläiset gewählt.
Miracle
hieß Wunder. Juri hatte die Augen immer noch geschlossen, doch ich merkte, dass er zuhörte.
«All I need is a miracle. What I need is a miracle.»
Der Refrain war zu viel für Juri, vielleicht spielte auch der Wodka eine Rolle, jedenfalls begann er zu schluchzen. Ich tat, als merkte ich nichts, und fuhr schweigend weiter. Wie viele Wunder durfte ein Mensch erwarten? Ich glaubte keine Sekunde daran, dass Paskewitsch Juri in Ruhe lassen würde. Er wollte sich rächen, ob er Grund dazu hatte oder nicht.
    Als wir den Vorort Ruoholahti erreichten, stellte ich fest, dass der Wodka seine Wirkung getan hatte. Juri war betrunken. Ich fuhr den Jaguar zum Bulevardi, nahm die Waffe samt Holster mit und brachte Juri zum Aufzug.
    «Ich komme später nach. Lass dir von Hanna etwas zu essen geben», sagte ich. Dann ging ich in Richtung Meer. Ich hatte fürchterlichen Hunger, aber als Erstes brauchte ich frische Luft. Vielleicht würde sie meinen Kopf, in dem sich auch ohne Wodka alles drehte, klären und mir sagen, wer ich war und was ich eigentlich wollte. Ich ging zu Fuß nach Ruolahti. Das Sans Nom hatte bereits geschlossen, würde aber

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