Das Netz der Schattenspiele
angetreten. Auch Walter Friedman stand aufmerksam lauschend an der Rückwand des Raumes; er hatte sich in der letzten Zeit rar gemacht. Nur der Rote John fehlte.
»Die Angriffe gegen die katholische Kirche und gegen den jüdischen Gebets-E-Mail-Server waren die letzten Vorfälle, die unsere Beobachter gemeldet haben«, erläuterte der Intruder-Projektleiter zufrieden. »Unsere Analytiker bieten zwei verschiedene Interpretationen für das Ausbleiben von Aktionen am gestrigen Tag und in der Nacht an. Entweder war das ein tiefer Atemzug vor dem nächsten, dafür dann umso lauteren Posaunenstoß, oder die Cyberterroristen haben Wind davon bekommen, dass wir ihnen auf den Fersen sind. Einige Anzeichen aus dem mittleren Drittel von Stellas Reiseprotokoll lassen uns die zweite Möglichkeit favorisieren.«
»Vielleicht haben Sie die Möglichkeit drei vergessen«, meldete sich Kimiko müde zu Wort. »Die Terroristen wollten auch einmal ein ruhiges Wochenende haben.«
Alle im Konferenzraum lachten, nur DiCampo nicht.
»Ich habe gestern Nachmittag die Ergebnisse der ersten Reise von Stella Kalder als nicht sehr ergiebig bezeichnet. Inzwischen muss ich mich korrigieren. Wenn unsere Analytiker Recht haben, dann könnte sie die Aufmerksamkeit der Terroristen auf sich gezogen haben. Und das wiederum erlaubt es uns, die Verbrecher zurückzuverfolgen. Deshalb plädiere ich dafür, sie so schnell wie möglich wieder auf Reisen zu schicken.«
»Ohne konkretes Ziel?«, fragte eine junge Frau dazwischen, deren Haut noch schwärzer war als diejenige Agafs.
»Stella hat im Server der Australian Mining Company einen verschlüsselten Text entdeckt, den wir leider noch nicht dekodieren konnten. Sobald uns das gelungen ist, dürften wir genügend Anhaltspunkte für eine neue Reise haben.«
»Und wie lange wird das dauern?«
DiCampo wusste darauf keine befriedigende Antwort zu geben und das ärgerte ihn. Mit einem unwilligen Seitenblick auf Salomon, erklärte er schließlich: »Professor Kalder hat für mich einen Bericht von Stellas Wachtraum erstellt. Seine Tochter hat den Kagee -Text in Blaxxun einer außenstehenden Person übergeben, deren Identität die Kalders uns gegenüber nicht aufdecken wollen. Ich halte das zwar für einen eklatanten Verstoß gegen unsere Sicherheitsbestimmungen, aber vielleicht können wir von dieser Seite morgen schon Neues erfahren.«
»Eher am Dienstag«, warf Salomon ein.
DiCampos Kopf fuhr nun ganz herum. »Aber das wäre ja erst übermorgen! Sie haben doch gesagt…«
»Ich bat um Bedenkzeit«, unterbrach Salomon den Projektleiter. Er legte den Arm um die Schulter seiner neben ihm sitzenden Tochter und erklärte: »Stella ist nach der gestrigen Reise noch ziemlich erschöpft. Ich bin mir momentan nicht einmal sicher, ob ich überhaupt einer weiteren Cyberspace-Reise zustimmen kann. Bevor meine Tochter keine echte Chance auf Erfolg hat, werde ich sie jedenfalls nicht mehr einer solchen Belastung aussetzen. Aus meiner eigenen Erfahrung halte ich einen Zeitraum von drei Tagen für die Entschlüsselung des Schattenworttextes für realistisch.«
»Dann muss ich den Dienstag wohl schlucken«, sagte DiCampo, halb enttäuscht wegen der Verzögerung, halb erleichtert wegen der in Aussicht gestellten Zustimmung des Professors.
Salomon nickte. »Sofern Stellas Informantin ihr am Dienstag die Lösung des Rätsels liefert, wird meine Tochter auch ihre Suche nach dem Cyberwurm fortsetzen können. Wenn überhaupt, dann halte ich diesen Zeitplan noch für den besten Kompromiss.«
DiCampo versuchte erst gar nicht, den besorgten Vater zu einer schnelleren Gangart anzutreiben. Unter den Augen des versammelten Cyberworm-Teams hätte ihm dies gewiss nur Negativpunkte eingebracht. Stattdessen fuhr er damit fort, die Resultate der NSA-Analytiker vorzutragen. Diese hielten es nämlich durchaus für möglich, dass Stella von den Terroristen beobachtet worden war – die zweimalige Begegnung mit dem virtuellen Wesen, das Stella als Lindwurm bezeichnet hatte, verlieh dieser Theorie ebenso Gewicht wie der reale Mordanschlag auf die deutschen Teamkollegen. Sollten die Vermutungen der Analytiker auf Tatsachen beruhen, dann könne es schon ausreichen, dass Stella sich wieder online zeige. Möglicherweise ließen sich die Terroristen dann aus ihrem Versteck locken.
Stella, die wie fast immer den Teambesprechungen schweigend folgte, sah, wie sich ihrem Vater die Nackenhaare aufstellten. Er machte DiCampo selbst für das
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