Das Netz der Schattenspiele
Gesicht und machte sich daran, sein Notebook neben dem von Salomon aufzubauen.
Wenig später waren er, Kimiko und Stellas Vater damit beschäftigt, das Internet nach dem Dark Listener zu durchforsten. Dieser Name erinnere ihn an etwas, sagte Salomon, aber bisher wisse er leider noch nicht recht, an was.
Agaf und Stella spielten Canasta. Gerade waren sie bei der dritten Runde, als plötzlich ein hässliches lautes Schnarren durch den Raum schallte.
»Das ist ein Alarm!«, stieß Kimiko hervor.
»Feuer?«, fragte Stella besorgt.
»Nein«, entgegnete Agaf ruhig. »Der Signaltakt für einen Feueralarm hört sich anders an. Lasst uns sofort in den Konferenzraum gehen. Da muss etwas ziemlich Ernstes passiert sein.«
Stella konnte sich später nur noch erinnern, dass sie sofort alles stehen und liegen gelassen hatte und zum Fahrstuhl gelaufen war. Erst als sie mit Agaf, Kimiko und Benny im Lift stand, fiel ihr auf, dass ihr Vater fehlte. Da sich auch andere Mitglieder des Cyberworm-Teams im Aufzug befanden, wollte sie aber nicht nach ihm fragen.
Im Konferenzraum herrschte schon nervöse Betriebsamkeit. Überall standen Teammitglieder herum und spekulierten, was wohl geschehen sein mochte. Es war zwanzig Minuten nach zehn. Einige wenige hatten sogar schon geschlafen.
Stella wollte sich gerade Kimiko zuwenden und sie nach ihrem Vater fragen, als sie ihn den Raum betreten sah.
»Da bist du ja!«, entfuhr es ihr. Sie wusste auch nicht, warum sie sein Erscheinen so erleichterte.
»Alles in Ordnung«, antwortete er. Dann kam auch schon DiCampo in den Saal.
»Bitte setzen Sie sich«, rief er, noch während er sich zum Kopfende des langen Konferenztisches durcharbeitete. Dabei gestikulierte der Italiener wild mit seinen Armen, als wolle er einen Düsenjet einweisen. Er sah sehr blass aus.
Als im Raum Ruhe eingekehrt war, sagte DiCampo mit versteinerter Miene: »Der Cyberworm hat wieder zugeschlagen.«
Obwohl diese Nachricht allein wenig Erschreckendes an sich hatte – immerhin war ja damit zu rechnen gewesen –, konnte doch jeder an dem Ton des Projektleiters hören, dass Außergewöhnliches geschehen sein musste. DiCampo holte tief Luft. Erstaunt bemerkte Stella das Zittern in seiner Stimme, als er fortfuhr: »Das Gespenst des Information Warfare, des Informationskrieges in seiner schlimmsten Ausprägung, ist heute Abend erwacht: Wir sind soeben mit knapper Not einer nuklearen Katastrophe entgangen.«
Ein Raunen und vielstimmiges Getuschel ging durch den Raum, und erst als Agaf den Projektleiter fragte, was denn nun passiert sei, erfuhren sie das ganze schreckliche Ausmaß des jüngsten Angriffs aus dem Cyberspace.
Exakt zur gleichen Zeit waren in einem Atombunker bei Salt Lake City und in einem anderen unweit des russischen Nowosibirsk zwei Interkontinentalraketen mit nuklearen Sprengköpfen aufgestiegen. Niemand hatte ihnen hierzu den Befehl gegeben. Kein Verantwortlicher aus der US-Army beziehungsweise vom russischen Militär, korrigierte sich DiCampo. Atomraketen konnten nicht so einfach gestartet werden. Ein mehrstufiges Sicherheitssystem verhinderte, dass ein Verrückter einfach den Knopf drückte, um die Raketen aufsteigen zu lassen. Aber irgendwo musste es den Terroristen doch gelungen sein, ihren Hebel anzusetzen.
»Ist es nicht so, dass Ihr Land einen Gegner immer noch ausschalten kann, selbst wenn dieser erfolgreich einen atomaren Erstschlag geführt hat?«, fragte Salomon sichtlich erschüttert.
»Das ist richtig«, antwortete DiCampo. »Auf diesem Prinzip beruht ja die ganze nukleare Abschreckung.«
Salomon nickte. »Da haben Sie Ihren Ansatzpunkt für den Cyberwurm. Er hat Ihrem Verteidigungssystem vorgegaukelt, die Russen hätten die USA mit ICBMs beschossen. Seien Sie froh, dass er nur eine Rakete aufsteigen ließ.«
DiCampos Gesicht spiegelte unverhohlenes Entsetzen wider. »Zum Glück waren beide Seiten geistesgegenwärtig genug, die Selbstzerstörungsmechanismen der Raketen zu aktivieren. Abgesehen von einer radioaktiven Verseuchung des jeweiligen Aufschlagsgebietes durch die Trümmerteile ist nichts passiert.«
Einige im Raum stöhnten, manche erleichtert, viele aber entsetzt über den Zynismus in DiCampos »Glücksmeldung«.
»Es war gut, uns dies mitzuteilen«, sagte Agaf und setzte damit dem betroffenen Schweigen ein Ende. »Ich wünschte nur, sie hätten heute Morgen auf mich gehört, Dr. DiCampo.«
»Das habe ich«, beteuerte der Projektleiter. »Ich habe unseren… Verzeihung…
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