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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Sicherheit auf Reste von Kartoffelchips und Marshmallows gestoßen.
    Von der Küche aus konnte man durch einen kleinen Zwischenflur zur Speisekammer, in den Keller sowie in weitere Räume gelangen, unter anderem auch zurück zur Diele. Die Tür dorthin stand offen.
    »Sternchen, wo bist du denn?«, rief Mark ungeduldig. Das seltsame Versteckspiel war ein Zug, den er an seiner Tochter noch gar nicht kannte.
    »Ich bin hier, in der Diele«, kam Stellas Stimme dumpf zurück.
    Mark seufzte und folgte seiner Tochter in den Eingangsbereich des alten Hauses.
    Stella empfing ihn mit einem großen Glas Cola in der Hand. Auf ihrem Gesicht zeichnete sich eine Mischung aus Ungeduld und unverhohlenem Groll ab. Als sie den Mund öffnete, wusste Mark, dass sich seine schlimmsten Befürchtungen bewahrheiten würden.
    »Hi, Salomon. Unser gemeinsames Mittagessen in der Pizzeria war ein unvergessliches Erlebnis. Das müssen wir unbedingt bald wiederholen. Leider habe ich jetzt keine Zeit mehr für dich. Ich muss noch einiges erledigen.«
    Mark schluckte. Jetzt eine laute Antwort und alles würde nur noch schlimmer werden. Er kannte seine Tochter nur zu gut. »Sternchen, hör mal. Du hast ja Recht. Ich hab dir versprochen, dass wir zusammen essen gehen, aber es ist wieder einmal etwas dazwischen gekommen.«
    »Es kommt immer etwas dazwischen.«
    »Das stimmt nicht, Sternchen…« Mark stockte. »Doch, vermutlich hast du Recht. Deshalb will ich ja auch meine Situation ändern. Bald schon werde ich viel mehr Zeit zu Hause verbringen können als bisher. Dann können wir fast jeden Tag in die Pizzeria gehen, wenn du möchtest.«
    »Jetzt machst du schon wieder Versprechungen, die du nachher nicht halten kannst«, platzte Stella mit Tränen in den Augen heraus.
    »Wir holen es heute Abend nach«, sagte Mark eindringlich. Er kannte diese Stimmung seiner Tochter. Manchmal war dann tagelang mit ihr kein vernünftiges Wort mehr zu wechseln. »Ich schwöre es bei allem, was mir heilig ist, Sternchen. Wenn du noch willst, gehen wir heute Abend ins Kino und verdrücken nachher eine Riesenpizza. Einverstanden?«
    Stella funkelte ihren Vater an. Für einen Moment hörte man nur das leise Prickeln der Kohlensäure im Colaglas.
    »Ich hab jetzt zu tun«, wiederholte sie nur. Dann wandte sie sich abrupt um und stapfte die Treppe zu ihrem Zimmer hoch.
    Mark stand wie ein begossener Pudel in der Diele. Normalerweise sollte sich ein Vater ein derartiges Benehmen nicht bieten lassen, aber das Bewusstsein seiner eigenen Schuld machte ihm eine angemessene Reaktion unmöglich. Viviane hatte ihm unmissverständlich zu verstehen gegeben, wie wenig Lust sie im Augenblick verspürte zu ihm nach Berlin zurückzukehren. Und jetzt war auch noch Stella drauf und dran, sich von ihm abzuwenden. Er hatte einfach zu lange gewartet… Vielleicht war es doch schon für eine Umkehr zu spät.
    Betrübt ließ Mark den Blick durch die Diele wandern. Da stockte sein Atem. Die Tür zum Chaos stand offen. Mit vier schnellen Schritten durchquerte er den Eingangsbereich und stieß die schwere Eichentür auf. Das Arbeitszimmer sah noch genauso aus, wie er es vor Stunden verlassen hatte. Die Jalousetten waren heruntergelassen, der Raum lag in einem schummrigen Dämmerlicht.
    Mark betätigte den Lichtschalter neben der Tür und trat in das Büro. Seine Augen wanderten über den Fußboden, an Schränken und Regalen entlang und erkundeten zuletzt den massiven Schreibtisch. Er konnte keinerlei Veränderungen feststellen. Alles war wohl noch so, wie er es zurückgelassen hatte.
    Plötzlich lief es ihm heiß und kalt den Rücken hinunter. Schnell umrundete er den Schreibtisch und ließ sich in den Bürostuhl fallen. Er beugte sich herab, blickte in den Schatten zu seinen Füßen – und atmete erleichtert auf.
    Aus dem MO-Laufwerk seiner Workstation ragte ein grauer Datenträger. Als ihm am späten Vormittag siedend heiß Jürgens Vorlesung eingefallen war, hatte er zwar die magnetooptische Disk ausgeworfen, aber nicht mehr im Safe verstaut, wie er es sonst immer tat. Stattdessen war er völlig kopflos, einfach alles stehen und liegen lassend, aus dem Haus gestürmt.
    Erleichtert nahm er die Disk an sich und deponierte sie im Wandsafe. Anschließend ließ er sich wieder in den ledernen Schreibtischstuhl sinken. Er schüttelte den Kopf. Nicht auszudenken, was alles hätte geschehen können, wenn irgendjemand die MO entdeckt und das Netz der Schattenspiele aktiviert

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