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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Obwohl ihr Gesicht sehr ernst wirkte, sah sie immer noch bezaubernd aus. Da niemand etwas sagte, beantwortete sie die gestellte Frage gleich selbst.
    »Unabhängig davon, was unsere anderen Cyberworm-Kameraden anstellen, um dem Wurm auf die Spur zu kommen, sollten wir doch zunächst klären, was oder wer Bereshit ist. Vermutlich werden wir wieder alle Online-Datenbanken der Welt anzapfen müssen, um herauszufinden, was dieses Schattenwort…«
    »Müssen wir nicht«, unterbrach sie Benny.
    Nicht nur Stella wunderte sich über diese Bemerkung des zurückhaltenden jungen Mannes. Ihr Blick hing an seinen Lippen.
    Benny lächelte schüchtern. »Entschuldigung«, sagte er an Kimikos Adresse gewandt.
    »Schon in Ordnung, Benny. Weißt du etwas, das uns weiterbringen kann?«
    Er nickte. »Es war immer der größte Wunsch meines Vaters, dass sein Sohn einmal am Sabbat in der Synagoge aus der Thorarolle vorlesen sollte. Das Hebräische ist mir also geläufig. Wir Juden benennen die ersten fünf Bücher der Bibel jeweils nach ihren Anfangsworten. Demzufolge trägt das erste Buch Moses, das mit der Wendung ›Am Anfang…‹ beginnt, den hebräischen Namen Bereshit«
    Vier Augenpaare ruhten gebannt auf Benny. Der lächelte verlegen und zuckte mit den Schultern. »Es ist eigentlich ganz einfach.«
    »Im Englischen kennt man das erste Buch Moses unter dem Namen ›Genesis‹«, sagte Agaf in nachdenklichem Ton. »Das wiederum leitet sich von den griechischen Wörtern genesis kosmou her, was ›Entstehung des Kosmos‹ bedeutet.«
    »Für einen wilden Animisten aus dem afrikanischen Urwald weißt du aber erstaunlich viel über die Bibel«, neckte Kimiko ihren väterlichen Freund.
    Agaf lächelte. »Ich habe mir zum Prinzip gemacht, erst alles zu prüfen und dann zu entscheiden. Nur weil ich als Sohn eines afrikanischen Häuptlings geboren wurde, muss unsere Naturreligion nicht die endgültige Wahrheit sein. Wäre ich in Japan zur Welt gekommen, sagen wir als dein Onkel, dann hätte ich vermutlich eine shintoistische oder möglicherweise buddhistische Erziehung genossen. Ich zweifle daran, dass der Zufall der Geburt über unseren Weg zu Gott entscheidet.«
    Kimiko verzog in gespielter Empörung das Gesicht. »Du und mein Onkel? Ich glaube, da hätte mir bei meinem Vater aber irgendwas auffallen müssen.«
    Alle lachten und – seltsam, dachte Stella – niemand in dieser Runde machte sich große Gedanken darüber, welche Hautfarbe, Religion oder Herkunft der andere hatte. Hier arbeiteten einfach Menschen zusammen, die dasselbe Ziel vereinte. Das waren sie doch alle: Menschen, die gelernt hatten, einander zu vertrauen, sich auf den anderen zu verlassen.
    Diese Erkenntnis erfüllte Stella mit einer Wärme, die sie lange nicht mehr gespürt hatte. Zwar genoss sie das zunehmend enger werdende Verhältnis zu ihrem Vater, vor allem die vertrauten Gespräche, die sie in den letzten Tagen mit ihm hatte führen können, doch jetzt geschah noch etwas anderes. Ihr beinahe krankhaftes Misstrauen, das über Jahre hinweg kaum eine engere Beziehung zu einem anderen Menschen zugelassen hatte, begann seine Macht über sie zu verlieren.
    Stella warf Benny einen verstohlenen Blick zu. Ohne zu wissen weshalb, war sie stolz auf ihn. Er hatte dem Schattenwort einen Sinn gegeben. In ihren Augen war das eine Leistung, die der ersten Mondlandung in nichts nachstand.
    »Agafs kleiner Exkurs hat mich auf eine Idee gebracht«, meinte Salomon sinnierend. »Vor allem das, was er über sein Lebensprinzip gesagt hat – ›erst zu prüfen und dann zu entscheiden.‹ Vielleicht war genau das die Absicht des Cyberwurms. Wir dürfen uns nicht an dem Wort ›Bereshit‹ festklammern. Der Begriff ›Genesis‹ ist in unserem Sprachgebrauch viel verbreiteter. Je länger ich darüber nachdenke, desto fester glaube ich daran, dass wir hier den Hebel ansetzen müssen.«
    »Was ich nicht verstehe«, grübelte Kimiko, »warum machen die Cyberterroristen das? Warum geben sie uns diese Hinweise? Das alles kommt mir fast wie ein Spiel vor.«
    Salomon nickte. »Wir bewegen uns in einem Netz der Schattenspiele. Der Kagee- Mutant hat sich ja aus meinem Spiel entwickelt. Die Theorie der Cyberterroristen hat mich übrigens nie richtig überzeugt.«
    Jetzt richteten sich alle Blicke auf Mark.
    »Was meinst du damit?«, fragte Agaf.
    »Das bringe ich selbst noch nicht ganz auf die Reihe. Jedenfalls scheint unser Cyberwurm wirklich eine Spur gelegt zu haben, die uns zu ihm führt.

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