Das Netz der Schattenspiele
Kräfte würden sie jeden Moment verlassen, als sie in das Foyer stolperte. Schon flog hinter ihr die Tür auf, die sie zuvor leise geschlossen hatte. Zu ihrem größten Entsetzen schlitterten drei Gestalten, die mit menschlichen Wesen wenig gemein hatten, über den glatten Boden.
Ihre Verfolger glichen eher schon großen Insekten. Sie bewegten sich auf vier stelzenartigen Beinen vorwärts, ein weiteres Gliederpaar diente offenbar zum Greifen. Die Köpfe der Kreaturen besaßen mit scharfen Zangen bewehrte Mäuler und Augen, auf denen Tausende von Facetten schillerten. Ein brauner Chitinpanzer schützte die bizarren Körper. Stella hörte ein durchdringendes Zirpen, dann wieder ganz verständliche Worte.
»Dort! Es ist nur ein wehrloses Mütterchen. Ergreift sie, bevor sie nach draußen gelangen kann.«
Der Sprecher musste wohl der Anführer der drei sein, denn die anderen beiden schickten sich nun an, den Befehl zu befolgen. Dabei stießen sie auf unerwartete Schwierigkeiten, der glatte Mosaikboden wollte ihren harten, mit Widerhaken besetzten Füßen keinen rechten Halt geben.
Stella kämpfte sich dem Ausgang entgegen und schaute sich dabei immer wieder nach ihren Verfolgern um. Jetzt standen sie mit seltsam gespreizten Beinen im Flur, trinkenden Giraffen nicht unähnlich. Doch schon hatten sie das Gleichgewicht wiedergefunden. Behutsam, aber unaufhaltsam staksten sie los und gewannen schnell an Geschwindigkeit.
Verzweifelt schlurfte Stella weiter. Ihre Füße fühlten sich kalt an, wie fremde Wesen, die nicht mehr zu ihr gehörten. Sie schien in einen aussichtslosen Wettlauf verwickelt zu sein. Die fürchterlichen Insektenwesen flogen nun förmlich heran. Der Ausgang des rosa Palastes erschien ihr unerreichbar fern…
Da hallte ein lautes Krachen durch die Eingangshalle. Die Flügel des Portals wurden nach außen gerissen. Stella sah ungläubig, wie die schweren Holztüren, Blättern in einem Herbststurm gleich, über den großen Platz davonwirbelten. Noch bevor sie ganz aus ihren Augen verschwanden, griff eine unheimliche Kraft nach ihrem Körper.
Sie kannte diese Naturgewalt. Die gleiche unsichtbare Faust hatte sie tags zuvor in dem Elfenbeinturm gepackt. Im Herumwirbeln sah sie die erstaunten Insekten in der Halle stehen. Ihre Köpfe waren schräg gelegt. Sie verstanden nicht, welche Gewalt ihnen da ihre Beute entriss, zumal sie doch selbst nicht den geringsten Hauch verspürten.
Dann wurde Stella emporgeschleudert. Der Eingang mit den Panzerwesen stürzte unter ihr weg. Der rosa Palast schrumpfte wie ein misslungener Windbeutel zusammen. Immer höher flog sie hinauf, bis sogar das Reich Illusion unter ihr zu einem tellergroßen Fleck im Dunkel des Sternenlosen Alls geworden war.
Stellas letzter Gedanke bestand in einem ehrfürchtigen Staunen. Illusion war wunderschön! Es erinnerte sie an ein Spinnennetz, in dem der Tau der Morgensonne glitzerte. Doch als sie den Fäden folgen wollte, die ihre Welt im Universum festhielten, verirrte sich ihr Blick in die Unendlichkeit des Nichts.
DER ZUSAMMENBRUCH
Walter Friedman war hin- und hergerissen zwischen Pflichtgefühl und pochendem Gewissen. Was sollte er tun? DiCampo wollte Stella Kalder in einen ewigen Dämmerzustand schicken. Auch ihren Vater wollte er aus dem Weg räumen.
Während die Minuten verrannen, kämpfte Friedman gegen seine Zweifel an. Die NSA mochte Menschen bespitzeln, ihre Daten stehlen, sie vielleicht sogar manipulieren, aber das, was DiCampo vorhatte, war eindeutig nicht mehr mit ihren Methoden vereinbar. Andererseits hatte der Intruder-Projektleiter gesagt, die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten stehe auf dem Spiel. Auf diesem Altar waren schon viele Menschenleben geopfert worden, erinnerte sich Friedman mit Bitterkeit.
Dann wieder dachte er an Stella, dieses widerborstige Mädchen, das ihm nicht traute, und trotzdem etwas Liebenswertes an sich hatte. Nein, er durfte den Dingen nicht ihren Lauf lassen. Er musste den Kalders helfen.
Nachdem dieser Entschluss erst einmal gefasst war, begab er sich schnell zur Seitentür des Truckanhängers. Er klopfte energisch dagegen. Nichts geschah. Friedman klopfte noch einmal, und wieder und wieder.
Endlich schwang die schmale Tür nach außen auf und Gwen schüttete ihren ganzen Zorn über ihn aus.
»Bist du verrückt geworden, Walter? Wir sind mitten im Cybertrip.«
»Hol mir den Professor.«
»Nicht jetzt, Walter. Er besteht darauf, bei seiner Tochter zu
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