Das Netz der Schattenspiele
Pflanzen, später Vieh, doch zuletzt haben sie sich sogar an den Menschen gewagt, einzig um sein Gehirn mit einer Maschine zu verbinden.«
»Aber das können sie doch nicht…!«
»Stella.« Brainar drückte ihre Hände. »Glaube uns, sie können es und sie haben es getan. Wir, das Netz der Kinder, sind der lebende Beweis dafür. Deine Zeit in Illusion wird knapp. Wir können dir nicht mehr alles erzählen. Nur so viel noch: Lloyd versprach sich Macht und Reichtum von seiner Erfindung. Anfangs redete er sich ein, er könne die Leistungsfähigkeit des Brain Array stundenweise verkaufen – noch nie hat es einen Computer wie diesen gegeben, nicht nur unglaublich schnell, sondern auch in der Lage kreativ zu denken. Später dann muss Lloyds Verstand die dunklen Seiten seiner Schöpfung ausgelotet haben. Mit Hilfe des Brain Array konnte er den Informationsfluss der ganzen Welt kontrollieren, ganz nach Belieben Daten stehlen oder manipulieren. Wir sind für ihn nur Mittel zum Zweck.«
Stella ging Brainars ungeheuerliche Bitte nicht aus dem Kopf. »Aber trotzdem seid ihr doch Kinder! Selbst wenn ich es könnte, würde ich euch niemals töten.«
»Allein wären wir nichts, nur brabbelnde Ungeheuer«, widersprach Brainar. »Erst durch das Brain Array werden wir zu jenem Metahirn, das gerade mit dir spricht. Aber wir sind nie wirklich ein zusammengehöriges Ganzes gewesen. Bis das Brain Array zu dem wurde, was es heute ist, wurden Scharen von geklonten Kindern wie Kerzen verbraucht: angesteckt und abgebrannt. Was spielt es da schon für eine Rolle, ob die letzten vierundsechzig von uns auch noch erlöschen?«
Sogar ohne ihre Hände konnte Stella nun spüren, wie ihr Gesicht immer schlaffer und faltiger wurde. Unwillkürlich sprach sie schneller. »So darfst du nicht reden, Brainar! Im richtigen Leben habe ich auch einen Körper, dessen Zellen sich ständig erneuern. Trotzdem werfe ich ihn nicht einfach weg.«
»Aber wir leiden unter unserem Dasein«, entgegnete Brainar und wie auf Befehl wurde sein schwacher Körper von einem heftigen Zittern ergriffen. »Auch wenn wir künstlich erschaffen wurden, sind wir doch Kopien echter Menschen. Wir können nicht länger auf diese Weise dahinvegetieren. Wir haben Schmerzen! Wir wollen sterben!«
»Nein, Brainar! Glaube mir, der richtige Weg ist nicht immer der, den wir uns aussuchen mögen. Es muss noch eine andere Möglichkeit geben. Ich verspreche dir, ich…«
»Still…!« Brainar lauschte. »Wir glauben, jemand nähert sich uns.« Er trippelte zur Tür und öffnete sie vorsichtig. Nun konnte auch Stella die Stimmen deutlich verstehen.
»… in diesen Gang. Schneller, Leute! Er muss sich irgendwo im Historienarchiv herumtreiben. Wenn er wirklich jemanden hier eingeschleppt hat, dann dürfen wir keine Zeit verlieren.«
Einen Herzschlag lang sahen sich Stella und Brainar erschrocken an.
»Komm!«, rief Brainar ihr zu und hielt Stella gleichzeitig seine kleine Hand entgegen.
Die zögerte nicht lange, sondern lief zu dem Jungen hin. Dabei stellte sie mit Grausen fest, wie ihre Glieder sich widersetzten. Den Rücken konnte sie nicht mehr gerade halten, Schmerzen in Schultern und Beinen plagten sie, als hätte sie stundenlang auf kaltem Steinboden geschlafen. Voller Schrecken wurde ihr bewusst: Sie war eine alte Frau geworden.
Mit einem Schlag löschte Brainar das Licht in der Bibliothek. Er hieb einfach seinen so unzulänglich geschützten Arm gegen die Glasröhre an der Wand. Augenblicklich kehrte Dunkelheit ein.
»Hier entlang«, raunte der Knabe.
Stella folgte einfach dem Zug seines Arms aus dem Archiv hinaus. Als sie sich umdrehte, konnte sie am Ende des Ganges einen Lichtschimmer sehen. Ihre Verfolger waren schon ganz nah.
»Aber wenn ich jetzt fliehe, was geschieht dann mit dir?«, fragte sie leise. Sie konnte in diesem Moment einfach nicht schweigen.
»Mach dir um uns keine Sorgen. Wir sind ihr liebstes Kind. Sie werden weiter versuchen, uns unter Kontrolle zu bringen. Aber das lassen wir nicht zu.«
»Dann wirst du die biologische Bombe entschärfen?«
»Erst wenn du versprichst, uns zu töten.«
»Brainar!« Stella merkte, dass sie laut geworden war, deshalb senkte sie die Stimme wieder, sprach dafür aber umso eindringlicher. »Brainar, das werde ich niemals tun!«
»Dann müssen wir unserem Dasein selbst ein Ende setzen. Wenn wir alle in Computern gespeicherten Informationen deiner Welt zerstören, dann werden auch wir aufhören zu existieren.«
Mit
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