Das Netz der Schattenspiele
schmerzendem Rücken bog Stella um eine weitere Ecke des dunklen Kellerflurs. »Und die gesamte menschliche Zivilisation wird mit dir untergehen.«
»Nur so können wir verhindern, dass sich unser Leiden in anderen wiederholen wird.«
»Nein, Brainar!«, keuchte Stella. Ihr wurde schwindlig. »So darfst du nicht denken. Wenn du die I-Bombe zündest, sterben viele Unschuldige. Und die Übrigen werden nicht anders sein als zuvor. Die Menschen müssen von deinem Schicksal erfahren. Nur so werden vielleicht genügend zur Besinnung kommen…«
In diesem Moment sah Stella ein mattes Licht. Sie hatten die Rückseite der Regalwand erreicht, die in den gewöhnlichen Keller des rosa Palastes zurückführte.
Brainar zog sie auf die andere Seite des Durchlasses und schloss die Geheimtür wieder.
Stellas Augen hatten sich inzwischen ausreichend an die Dunkelheit gewöhnt, um zu bemerken, dass es auch mit Brainar rapide bergab ging. Er hatte tiefe Augenringe und auf seiner Stirn stand der kalte Schweiß.
»Also gut, wir vertrauen dir, Stella. Von diesem Augenblick an können deine Begleiter jedes unserer Worte verstehen. Was wir also jetzt zu dir sagen, gilt auch ihnen als Hinweis: Wir werden die Bakterienbombe von Geneses entschärfen. Das versprechen wir dir, Stella. In weniger als fünf Minuten kann dieses Gebäude gestürmt werden.«
»Und ich verspreche euch, alles zu tun, um das Netz der Kinder zu retten. Ihr müsst erwachen! Das ist euer Ausweg und nicht der Tod. Bestimmt werdet ihr eines Tages wie alle anderen Kinder auch sein. Ihr werdet spielen, im Wasser planschen und tun, was so kleinen Stöpseln eben Spaß macht.«
»Wir kennen eure Kinderwelt nicht«, sagte Brainar mit glasigen Augen, in denen Stella doch zum ersten Mal etwas anderes als Schmerz entdeckte. »Geh für uns voran!«, drängte der Kleine, nun wieder mit fester Stimme. Auch er hatte noch einmal all seine Kräfte gesammelt. »Du musst dich beeilen, damit DiCampo nicht Gewalt über dein Bewusstsein erlangt. Wenn er das erreicht, könnte er sich des Brain Array bemächtigen und es mit dem Intruder vereinen. Dann wäre kein Mensch mehr vor seinen Lauschattacken und Manipulationen sicher. Nur du kannst das verhindern, Stella!«
»Aber wird man mir denn glauben?«
»Wenn du wieder in deiner Welt bist, dann erinnere dich an den Raum, in dem wir eben miteinander gesprochen haben. Deshalb haben wir dich hingeführt. Dort findest du genügend Beweise, um die Schuld von Lloyd und DiCampo zu belegen. Und nun lauf!«
Stella drückte noch einmal Brainars Hände. Hinter dem Regal erklangen dumpfe Stimmen. Jeden Moment konnte sich die Geheimtür öffnen und die Verfolger ausspucken. Plötzlich, einem inneren Impuls nachgebend, griff Stella nach ihrer Schulter. Sie umfasste ein weißes weiches Fell und hielt es dem Knaben hin.
»Hier, nimm das.«
»Dein Frettchen?«
»Du hast gewusst, dass es kein Pelzkragen ist?«
Brainar lächelte. »Draggy und der Iltis haben dieselbe Lehrerin!«
»Gib gut auf den Kleinen Acht«, sagte Stella an Sesa Mina gewandt.
Das Frettchen begann sich mit einem Mal zu bewegen, als sei es eben aus einem Dornröschenschlaf erwacht. »Das werde ich, Stella. Ich habe immer getan, was du dir von mir gewünscht hast.«
»Das weiß ich. Und dafür danke ich dir! Lebt wohl, ihr beiden.«
»Bis bald«, erwiderte Brainar und Sesa Mina fügte hinzu: »Vergiss mich nicht.«
Stella schüttelte den Kopf. Eine Träne rollte ihr über die faltige Wange. Noch einmal hob sie zum Abschied die Hand. Dann schlurfte sie wie eine gebrechliche alte Frau zur Treppe hinüber. Keinen Augenblick zu spät, denn schon begann sich die als Regal getarnte Geheimtür zu bewegen.
Als Stella einen letzten Blick in den Keller hinabwarf, waren Brainar und Sesa Mina bereits verschwunden, und ehe die Verfolger noch durch die Tür stürmen konnten, hatte das alte Mädchen es ihren Freunden gleichgetan.
Oben, im Erdgeschoss des rosa Palastes, befand sich Stella noch lange nicht in Sicherheit. Über kurz oder lang würden die Verfolger auch hier heraufkommen, um nach Brainars verbotener Begleitung zu suchen. Verzweifelt blickte Stella auf ihre Hände. Sie waren von Gichtknoten durchsetzt. Die Fingerknöchel traten grotesk hervor.
Mühsam schleppte sie sich den Flur entlang. Sie hatte noch nicht einmal die große Eingangshalle erreicht, als hinter ihr schon wieder Stimmen erklangen.
»Sie müssen nach oben gelaufen sein.« Dann folgten Schritte.
Stella glaubte, ihre
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