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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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dem, was du getan hast, genau diese Bezeichnung?« Stellas Anklage wurde durch den sanften Ton ihrer Stimme gemildert.
    »Wir wollten dich nur zu uns führen, dich auf uns aufmerksam machen. Unsere Absicht war nicht, jemanden zu verletzen. Das musst du uns glauben!«
    »Du hast zwei Atomraketen abgeschossen, Brainar!«
    »Und wir haben dafür gesorgt, dass sie entschärft werden konnten. Oder meinst du wirklich, wir hätten diese schrecklichen Waffen nicht auch zur Explosion bringen können?«
    Stella starrte erregt in das Gesicht des blassen Knaben. Brainars Erklärung klang logisch. Die violetten Augen hielten den ihren stand, und dann war sie es, die den Blick zur Tischplatte senkte. Dabei entdeckte sie an ihren Händen eine sonderbare Veränderung.
    »Brainar, sieh nur!«, rief sie entsetzt. »Ich werde älter.«
    Die Haut an Stellas Händen war mit einem Mal runzelig geworden. Sie wirkte wie Pergament. Und die Veränderung ging weiter! Bestürzt streifte Stella die Ärmel hoch. Auch die Arme hatte der rasante Alterungsprozess schon befallen. Stella konnte regelrecht beobachten, wie neue Falten hinzukamen und braune Altersflecken sich wie Ameisen zu den Ellenbogen hinaufarbeiteten. Fassungslos fuhren ihre Hände zum Gesicht. Hier war die Haut noch glatt wie am Tag ihres ersten Erwachens in Illusion.
    »Was geschieht nur mit mir?«, jammerte sie, der Panik nahe.
    Brainar stand von seinem Stuhl auf und fing wieder Stellas Hände ein, als seien sie aufgescheuchte Vögelchen. »Beruhige dich, Stella. Es ist DiCampo. Er will verhindern, dass du Illusion jemals wieder verlässt. Wenn du hier zu einer senilen Alten wirst, vielleicht sogar stirbst, dann ist nichts mehr übrig, was in deine Welt zurückkehren kann. Aber noch hat er sein Ziel nicht erreicht. Wir werden das verhindern.«
    Auch Stella erhob sich nun. Nur Brainars Griff hielt sie davon zurück, aufgeregt durch die Bibliothek zu laufen. »Dann musst du die Bombe entschärfen. Kannst du das?«
    »Ja, wir könnten es.«
    Stella fühlte, da gab es noch etwas Unausgesprochenes, was den Jungen von diesem rettenden Schritt abhielt. Gleichzeitig konnte sie sehen, wie ihre Haut immer schneller alterte. Nicht mehr lange und sie würde hysterisch schreiend durch diesen Keller rennen. Doch noch gelang es ihr, ihre Stimme unter Kontrolle zu halten.
    »Was ist mit dir, Brainar? Warum hast du diese schreckliche Waffe nicht längst unschädlich gemacht?«
    »Weil noch nicht der Zweck deines Kommens erfüllt ist.«
    »Was?«
    »Wir haben noch nicht unsere Bitte an dich gerichtet.«
    »Warum zögerst du dann noch, Brainar? Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um dir zu helfen.«
    Brainar sah sie traurig an. »Dann töte mich.«
    »Wie bitte?« Stella war fassungslos. »Das werde ich bestimmt nicht tun.«
    »Du musst es aber, Stella. Wir können unser Leiden nicht länger ertragen. Im Grunde sind wir wirklich monströs. Wir haben kein Recht zu existieren.«
    Stella entzog dem Knaben ihre Hand, nicht weil sie sich mit einem Mal von ihm abgestoßen fühlte, sondern um sich erneut ins Gesicht zu fassen. Als sie die ersten Falten ertastete, lief ihr ein Schauer von den Haarwurzeln den Rücken hinab. Schnell nahm sie wieder Brainars Hände und beugte sich zu ihm. Unter Aufbietung all ihrer Kräfte zwang sie sich zu einem ruhigen, freundlichen Ton.
    »Eines hast du mir nicht verraten, mein kleiner Bruder. Wer bist du – oder vielmehr, was bist du?«
    »Wir sind das Netz der Kinder, das Brain Array. Du weißt es doch längst, Stella. Wir spüren es.«
    Bilder von Katzen tauchten in Stellas Geist auf, geschundenen Kreaturen, in deren Köpfen Kabel steckten und die allein zu dem Zweck am Leben erhalten wurden, ihre Gehirne in den Dienst einer abscheulichen Apparatur zu stellen. Stellas Verstand weigerte sich, den Gedanken zu Ende zu führen. Deshalb tat es nun Brainar für sie.
    »Wir sind die Gehirne von vierundsechzig Kindern. Kurz nach unserer Geburt wurden wir an das Brain Array angeschlossen. Keiner von uns ist älter als fünf Jahre. Aber das stört den Professor und seine Leute nicht. Das Gehirn eines Menschen ist in den ersten Lebensjahren am leistungsfähigsten. Danach kann man es durch besseres Material ersetzen. Genau das wird hier in Bereshit getan. Wir sind alle Klone, Menschen geschaffen aus einer einzigen Keimzelle und ausgetragen von Leihmüttern. Das ist die wirkliche schreckliche Errungenschaft von Geneses: Anfangs vervielfältigten sie nur Bakterien und

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