Das Netz der Schattenspiele
Weiche, warme Hände streichelten sie. Dann war die Mutter wieder kurz verschwunden. »Seht doch, sie ist endlich aufgewacht!«
Zu Stellas Erstaunen sah Viviane aus wie Madame Pompadour. Die hellen Haare standen ihr als schiefer Turm von Pisa auf dem Kopf und sie trug ein ausladendes Brokatgewand. Hinter ihr entdeckte das Mädchen einen schwarzen Sklaven. Er trug eine mehr als merkwürdige dunkle Lockenperücke und fächelte hingebungsvoll mit einem Wedel aus Straußenfedern frische Luft in Vivianes Richtung. Salomon wandte sich gerade von einem hohen Sprossenfenster ab, um dem Erwachen seiner Tochter die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken.
Stella versuchte angestrengt herauszufinden, wo sie sich nur befand. Alles um sie herum wirkte prunkvoll, bis hin zu dem Himmelbett, auf dem ihr müder Körper lag. Hatte man sie nach ihrem Sturz etwa irgendwo aufgelesen und in ein Schloss gebracht?
»Wo bin ich?«
»Im Massachusetts General Hospital«, antwortete Salomon, der inzwischen das Bett erreicht hatte und, selig lächelnd, mit seiner Hand einige Haare aus Stellas Gesicht strich. Er trug enge Bundhosen, dazu weiße Kniestrümpfe und eine gepuderte Perücke, die ihm nicht besonders stand.
»Im Krankenhaus?«
»Du hast sehr lange geschlafen, Sternchen – wenn man das so nennen kann. Wie fühlst du dich?«
»Ich bin so müde… Und ihr seht alle so merkwürdig aus. Wie… in einem Film über Ludwig XIV.«
»Wie meinst du das?«, fragte Viviane besorgt.
»Sie hat wieder Halluzinationen«, sagte Salomon, bevor Stella antworten konnte. »Ist auch bei den letzten Malen so gewesen.«
»Wer ist denn der Sklave da?«, wollte Stella wissen und deutete mit großer Mühe auf den fächelnden Schwarzen.
»Der?« Viviane lachte glockenhell und lud den dunkelhäutigen Fremden mit ausgestrecktem Arm zum Näherkommen ein. Als er scheu neben Stellas Bett getreten war, sagte sie: »Schau ihn dir einmal genau an. Kannst du dir nicht denken, wer er ist?«
Stella kniff die Augen zusammen und öffnete sie wieder. Aber das half auch nicht viel. Der Unbekannte mit den seltsamen dünnen Haarwürsten auf dem Kopf war ihr völlig fremd. Wo hatten ihre Eltern nur diesen dunklen Burschen…?
Mit einem Mal war der Gedanke da. »Lauscher?«, fragte Stella ungläubig.
»Ebender, Gnädigste«, antwortete der Fremde. Sein Gesicht verzog sich zu einem ausladenden Grinsen.
»Bist du aus Illusion entlaufen?«
Lauscher lachte schallend, fing sich aber sogleich wieder. »Entschuldige, wollte dich nicht auslachen, Schnuppe. Bist wirklich noch etwas durcheinander. Wir haben uns zuletzt im Chat von Blaxxun getroffen, du erinnerst dich doch?«
Stella nickte langsam. »Also, manchmal ist es ziemlich schwierig, die Personen aus meiner Phantasie und die aus dem wirklichen Leben auseinander zu halten.«
»Das kriegen wir schon wieder auf die Reihe. Ich heiße übrigens Barney Brown.«
»Warum nicht Charley?«
Der Rasta stutzte. Dann begann er wieder zu lachen. »Mark, deine Tochter hat es faustdick hinter den Ohren!«
Salomon grinste. »Sie schlägt eben ganz nach mir.«
»Wie konntest du nur so schnell Jessicas und meine Geheimsprache erlernen?«, fragte Stella den Hacker unverwandt.
Barney hatte bisher in Englisch gesprochen, doch nun antwortete er in breitestem Berliner Dialekt: »Ick bin in Balin jeborn un uffjewachsen. Meen Vadder war Offissier bei de Army.«
Stella starrte die Inkarnation des Dunklen Lauschers ungläubig an. Zu Hause hatte sie nicht oft mit Schwarzen zu tun, die das Prädikat »Berliner Schnauze« verdienten.
»Jetzt kiekste, wa?«, setzte Barney noch eins drauf.
In diesem Moment klopfte es an die Tür von Stellas Zimmer. Im Türspalt erschien ein bekanntes Gesicht, das noch schwärzer war als das des Dunklen Lauschers.
»Agaf!«, rief Stella erfreut.
Die mindestens drei Meter hohe Tür öffnete sich nun ganz und der Afrikaner lief freudestrahlend auf das Bett zu. In seinem Schlepptau befanden sich Kimiko und Benny.
»Warum hast du dir nichts Vernünftiges angezogen?«, fragte Stella den Cyberworm-Einsatzleiter verwundert.
Agaf sah ratlos an sich herab. »Ich verstehe nicht…?«
»Na«, Stella fing an zu kichern, »warum hast du nur dieses irre Blätterzeug da an? Sieht ja fast so aus, als wolltest du Adam mit seinem Feigenblatt Konkurrenz machen.«
Agaf betastete sein beinahe knielanges buntes Blumenhemd und blickte betreten zu Mark und Viviane hinüber.
»Mach dir nichts draus«, tröstete Salomon den
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