Das Netz der Schattenspiele
Zerknirscht blickte er zu dem Revolver auf dem Beifahrersitz hinüber. Wenn er sich jetzt die Waffe an die Schläfe setzte und abdrückte, dann mussten er und seine Familie wenigstens nicht die Schmach eines öffentlichen Gerichtsverfahrens ertragen. Die Presseleute würden über den Fall herfallen wie Geier über einen Kadaver.
Doch dann – das Gebäude oben wurde eben systematisch von den Special Forces durchkämmt – entschloss sich Arthur M. Lloyd zu kämpfen. Er konnte nichts mehr verlieren, nur noch gewinnen. Sobald das automatische Garagentor weit genug offen stand, drückte er das Gaspedal durch. Der Edelgeländewagen schoss wie ein Pfeil nach vorne. Er jagte die Rampe hinauf und nahm gefährlich schwankend die Kurve zur Haupteinfahrt.
Auf dem parkähnlichen Geneses-Gelände war es erstaunlich ruhig. Die Elitekämpfer konzentrierten sich offenbar auf die Übernahme des Forschungskomplexes. Ein diabolisches Grinsen huschte über Lloyds Gesicht. Wenn er jetzt die Nerven behielt, dann konnte er es noch schaffen.
Fünfzig Meter vor dem Pförtnerhaus entdeckte der Geneses-Chef die Männer in den Tarnanzügen. Lautlos wie Schatten waren sie aus dem Wald gekommen und hatten jenseits des Gittertores Stellung bezogen. Mindestens ein Dutzend Gewehrmündungen waren auf den heranrasenden Mercedes gerichtet. Lloyd trat auf die Bremse und riss das Steuer herum.
Mit quietschenden Reifen schwenkte der Geländewagen von der asphaltierten Straße und fegte quer über den Rasen auf den Wald zu. Dort, am Südende des Areals, gab es eine Gruppe von Hemlocktannen und einen Nebeneingang, der normalerweise nur von Gärtnern und einigen Zulieferern benutzt wurde. Das Tor würde seinem wie eine Kanonenkugel dahinschießenden Wagen nicht standhalten. Bis zur Straße, der State Road 140 nach East Princeton, war es dann nicht mehr weit. Sein Offroader würde das unebene Gelände bis dorthin ohne Probleme meistern.
Lloyd blickte starr auf das feuerverzinkte Tor. Seine feuchten Hände packten das Lenkrad fester. Noch einmal drückte er das Gaspedal durch – da sah er das Aufblitzen der Mündungsfeuer.
Als die Kugeln in sein Fahrzeug einschlugen, wusste er, dass er verloren hatte. Eines der Geschosse traf ihn am Oberarm. Seine Hand wurde vom Lenkrad gerissen. Der Geländewagen geriet ins Schlingern. Mit vollem Tempo raste er auf die Baumgruppe neben dem Tor zu und krachte gegen eine der Tannen.
Fatalerweise war bei dem Aufprall einer der tief sitzenden Äste des Baumes entzweigebrochen. Ein Teil davon schoss wie eine Lanze durch die Windschutzscheibe und bohrte sich in die Brust des Professors. Erst dann krachte die Motorhaube des Mercedes gegen den Stamm. Der sich dabei entfaltende Airbag zerplatzte sogleich an dem im Wege stehenden Ast. Arthur M. Lloyds Kopf knallte gegen das Lenkrad und blieb darauf liegen. Die Hupe des Wagens kündete von dem Ende der Verfolgungsjagd.
Sekunden später waren die ersten Helfer bei dem Fahrzeug. Jemand tastete nach der Halsschlagader des reglosen Professors.
»Er lebt!«
Dann hallten Kommandos über das Terrain. In Windeseile wurde der Ast vom Baum getrennt und der Körper des bewusstlosen Mannes aus dem Wagen gehoben. Andere Helfer deckten das Fahrzeug währenddessen mit Feuerlöschschaum ein.
Zu spät, um die Funken eines Kurzschlusses unter der verbeulten Motorhaube noch rechtzeitig zu ersticken. Während die Retter sich mit dem Verletzten eilig zurückzogen, explodierte der Wagen.
DAS ERWACHEN
Zuerst war da nur ein Rauschen, wie von Flugwind. Irgendwo hinter ihren Ohrmuscheln kribbelte es: ein warmes, elektrisierendes Gefühl. Allmählich ließ der Wind nach und Stimmen drangen in ihr Bewusstsein. Eine stach besonders hervor. Sie war hoch, ein wenig durchdringend und schien sich ständig zu überschlagen.
»Jetzt liegt sie bereits seit acht Stunden so da. Ich kann das nicht mehr mit ansehen! Wir hätten uns mehr beeilen müssen. Es ist alles meine Schuld.«
Wer sich da so hingebungsvoll in Selbstvorwürfen erging, wusste Stella nicht zu sagen. Doch jetzt meldete sich eine Stimme, die eine warme Woge durch ihren Körper jagte.
»Sie hat immerhin vor zwei Stunden ihre Augen geschlossen, Barney. Der Neurologe meinte, das sei ein gutes Zeichen.«
»Mama?« Das Wort war einfach aus Stella herausgerutscht.
»Stella, mein Kind!«, rief Viviane, außer sich vor Freude. Ihr Gesicht erschien vor Stellas Augen. Eine Salve von Küssen traf sie auf Wangen, Stirn, Nase und Mund.
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