Das Netz der Schattenspiele
ihm musste sich einer der hartgesottenen Kämpfer übergeben. Auch Liebermans Magen rebellierte, aber noch hatte er sich in der Gewalt. Fassungslos durchwanderte er den Raum. Sein Verstand konnte, nein, wollte das hier einfach nicht akzeptieren.
In dem großen Saal standen vier hohe Edelstahlkegel, auf denen diverse Kontrollanzeigen leuchteten. An jedem davon waren sechzehn Liegen angebracht, was die sich nach oben hin verjüngenden Säulen wie riesige Blüten aussehen ließ, die Blätter in Sternform weit abgespreizt. Auf den einzelnen »Blütenblättern« lagen die unbekleideten Körper kleiner Kinder. Einige von ihnen schienen kaum älter als sechs Monate, bestimmt aber zählte keines der armen Wesen mehr als sechs Jahre. Die Köpfe der regungslosen Jungen und Mädchen zeigten ausnahmslos zur Mitte der konischen Säulen hin. Aus den kahlen Schädeln ragten Kabel heraus, die geradewegs in die zentralen Kontrolltürme führten. Auch an anderen Stellen der zerbrechlich wirkenden Körper waren Messsonden angebracht, die offenbar zur Überwachung der Lebensfunktionen dienten.
Ja, sie lebten! John Lieberman wusste nicht, ob er sich freuen oder diese armen Geschöpfe bedauern sollte. Er hatte selbst eine Tochter von drei Jahren. Der Gedanke, dass man Kindern so etwas antun konnte, machte ihn zornig.
Während sich schon das medizinische Personal um die kleinen Patienten kümmerte, fiel dem Major die enorme Ähnlichkeit der einzelnen Kinder auf. Da wo Gleichaltrige dicht beieinander lagen, konnte er praktisch keine Unterschiede zwischen ihnen feststellen. Alle waren vollkommen unbehaart und hatten blassblaue Augen, die starr zur Decke blickten und auffällig selten blinzelten. Lieberman fuhr mit seiner Hand über eines der ausdruckslosen Gesichter. Die Augen reagierten nicht. Sie wirkten gläsern. Er musste gegen ein Schaudern ankämpfen. Obwohl ihm nicht alle Hintergründe dieses Unternehmens bekannt waren, wusste er doch, in was für einem Gebäude er sich befand. Geneses beschäftigte sich mit Gentechnik.
Bereits vor Jahren, als im schottischen Roslin-Institut das geklonte Schaf Dolly das Licht der Welt erblickte, hatte er das Tun der Forscher mit großer Skepsis verfolgt. Kurz darauf hatte ein stolzer Professor namens Ryuzo Yanagimachi von der Universität Hawaii seine Klonmaus vorgestellt, angeblich eine genetisch völlig identische Kopie eines auf natürliche Weise geborenen Nagers. Und wieder nur wenige Monate später meldete das japanische Ishikawa Prefectural Livestock Research Center die »Produktion« mehrerer geklonter Kälber. Die Londoner Sunday Times verkündete damals euphorisch, diese Fortschritte erhöhten »die Möglichkeit des kommerziellen Klonens von Tieren und Menschen«.
Lieberman sah kopfschüttelnd auf die Kinderleiber herab. »Sie haben es also wirklich getan!« Immer wieder kam dieser Satz über seine Lippen. »Sie haben es also wirklich getan!«
Arthur M. Lloyd hatte beschlossen, sich nicht zu ergeben. Zu weit war er bereits in ein kompliziertes Netzwerk aus Intrigen, Bestechung und Betrug verstrickt. Schon mit der Auswahl seines Firmensitzes hatte es begonnen. Seine Beziehungen bis hinauf zum Senator von Massachusetts und geschickte Manipulationen hatten ihm dieses abgeschiedene Areal im Leominster State Forest, direkt am Westufer des Paradise Pond verschafft. Die eigene exponierte Stellung am MIT war von ihm dazu missbraucht worden, seine geheimen Forschungen voranzutreiben. Und mehr als einmal hatte er sich von diesem geldgierigen Intruder-Projektleiter auch streng geheime Regierungsdokumente verschafft. Dann war das Experiment außer Kontrolle geraten.
Das Brain Array spielte plötzlich verrückt. Irgendein Virus musste den Biospeicher des Supercomputers befallen haben. Alle Versuche, die intelligente Maschine wieder unter Kontrolle zu bringen, waren fehlgeschlagen. Dafür häuften sich die weltweiten Katastrophen. Lloyd hatte zwar alles getan, um seine Spuren zu verwischen, aber das Netz um Geneses war letztlich immer enger geworden.
Der Professor startete den Motor seines Mercedes M-Modells. Eigentlich hatte er sich in seinem Büro erschießen wollen, aber dann war ihm der Mut geschwunden. Unmittelbar bevor in dem Gebäude das Chaos losbrach, war er mit seinem persönlichen Fahrstuhl in die Tiefgarage gefahren. Dort hatte er einige Minuten lang in seinem Wagen gesessen und sein Leben Revue passieren lassen. Zu viele Fehler! Er wünschte, es gäbe für ihn eine zweite Chance!
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