Das Netz der Schattenspiele
Afrikaner. »Im Augenblick ist erst ihr Verstand erwacht. Ihre Wahrnehmung treibt noch irgendwo zwischen Illusion und hier.«
Stella verkniff sich denn auch eine Bemerkung über Kimikos und Bennys Garderobe. Die Japanerin hatte ein weiß geschminktes Gesicht und trug einen Kimono, der an ihren Beinen so eng war, dass sie nur kleine Tippelschritte machen konnte. Diese Art der Fortbewegung verlieh ihr das Aussehen einer schwebenden Porzellanpuppe. Benny dagegen mimte den Kapitän der königlichen Marine auf Heimaturlaub. Seine blaue Uniformhose stand ihm noch recht gut, dafür baumelte ein langer Säbel ständig zwischen den Beinen herum und hinderte ihn am Gehen. Stellas Herz hüpfte vor Freude, den schüchternen Lockenkopf zu sehen, der sich sofort galant nach ihrem Wohlbefinden erkundigte.
Bald wurde um Stellas Bett herum viel geplaudert und gelacht, aber die ganze Heiterkeit kam ihr irgendwie überzogen vor. Neben den angeblichen Halluzinationen, die sie mit stoischer Gelassenheit ertrug, stimmte noch etwas anderes nicht. Es dauerte eine geraume Weile, bis Stella darauf kam.
»Was ist mit Brainar?«
Ihre Frage ließ die gute Laune der Anwesenden schnell verfliegen. Alle sahen sie schweigend an. Keiner wagte etwas zu sagen.
»Jetzt rückt schon raus damit«, verlangte Stella.
Schließlich seufzte Agaf. »Ich habe gerade eben mit General Slider telefoniert. Er ist noch draußen im Leominster State Forest. Leider konnte er mir nicht sehr viel zum Netz der Kinder sagen. Offenbar weiß man noch nicht recht, wie man die Kleinen von den Apparaten trennen kann, ohne ihre Vitalfunktionen zu stören.«
Stella hatte keine Ahnung, was das Brain Array wirklich war. Sie kannte nur die Schilderungen des kleinen Brainar. »Du meinst, die Kinder könnten sterben, wenn man sie voneinander trennt.«
»Was sie da mit den Kleinen angestellt haben ist grauenvoll, Stella. Ich möchte dir in deinem Zustand lieber nichts davon erzählen. Es würde dich zu sehr aufregen.«
»Aber ich habe ihnen versprochen, dass sie einmal ganz normale Kinder sein werden!«, stieß Stella verzweifelt hervor.
»Ja, ich weiß. Wir haben es im Reiseprotokoll gelesen. Du darfst die Hoffnung nicht aufgeben. Wir…«
Ein neuerliches Klopfen an der Tür ließ Agaf innehalten. Ein livrierter Page kam herein. Er trug ein silbernes Tablett, auf dem ein Umschlag lag. Den hielt er jetzt unter Agafs Nase.
»Eine Nachricht von General Slider, Sir. Er hat extra ausrichten lassen, es sei dringend.«
Agaf nahm das Kuvert vom Tablett, öffnete es, zog einen kleinen Zettel daraus hervor und überflog den Inhalt. Mit einem Mal hellte sich seine ernste Miene auf.
»Der General bittet mich, dir diese Nachricht vorzulesen, Stella. Er schreibt: ›Die Ärzte haben vor kurzem das erste Kind aus dem Brain Array gelöst. Es handelt sich um ein etwa anderthalb Jahre altes Mädchen. Nur wenige Minuten nach der Trennung von dem Apparat erwachte die Kleine aus ihrem apathischen Zustand. Die Augen reagierten auf Bewegungen. Dann öffnete sie ihren Mund und sprach laut und erstaunlich deutlich ein Wort. Es war zwar nur ein einziges, aber die Mediziner entschieden sich spontan, das Mädchen danach zu benennen.‹«
»Wie lautet dieses Wort?«, flüsterte Stella mit tränenfeuchten Augen.
Agaf blickte von seinem Zettel auf. Auch er war tief bewegt, begann nun aber zu lächeln. »Es ist sehr kurz, gerade mal sechs Buchstaben lang. Das Mädchen sagte: Stella.«
Am Mittwochmorgen fühlte sich Stella schon erheblich besser. Ihre Halluzinationen waren über Nacht verschwunden. Nur Barney hatte noch seine seltsame Perücke auf. Stella wurde den Verdacht nicht los, dass der Hacker wirklich so aussah.
»Ist vielleicht nicht das nobelste Krankenhaus der Stadt, aber sie haben gute Ärzte hier«, antwortete Barney auf Stellas Bemerkung hin, das Schlafgemach im Palast habe ihr besser gefallen.
Immerhin hatte Stella ein Einzelzimmer. Sie durfte sich sogar Blumen schenken lassen, gleich mehrere Vasen standen auf dem Boden herum. Das machte die eher nüchterne Atmosphäre des Raumes erträglicher. Es gab keinen Teppich, sondern nur grau melierten Kunststoffboden. An den weiß getünchten Wänden befanden sich unansehnliche graue Kabelkanäle. Wenigstens hatte sie ein eigenes Bad.
Noch bevor Barney am Morgen zu Besuch gekommen war, hatte Stella dieses bereits erkundet. Die Natur hatte nach ihrem Recht verlangt und sie hasste es, in einen Nachttopf zu strullen. Als ihr Blick dann
Weitere Kostenlose Bücher