Das Netz der Schattenspiele
für ›Stern‹. Für deine Eltern warst du bei deiner Geburt bestimmt der absolute Star, deshalb haben sie dich so genannt. Für mich, der ich dich gerade erst einen Tag kenne, bist du noch ein Sternchen, ein Starlet.«
Die Erwähnung von Salomon und Viviane in der Rolle glücklicher Eltern machte Stella nachdenklich. Sie wusste auf Agafs Bemerkung nichts zu erwidern. Doch dieses Bild ließ sie die eher kalte und abweisende Umgebung, in der sie sich befand, weniger tragisch nehmen.
Es dauerte mindestens fünfzehn Minuten, bis der »Projektleiter«, wie ihn Townsend großspurig genannt hatte, auf der Bildfläche erschien. Die Zeit bis zu seinem Auftauchen vertrieben sich die Teammitglieder mit dem Verzehr von dreieckigen Sandwiches, die in ebenso geformten Plastikboxen über den langen Konferenztisch verstreut lagen. Stella angelte sich ein Weißbrot mit Truthahn, Salomon entschied sich für die Vollkornvariante mit grünem Salat, Gurke und Tomate.
Zahlreiche Gespräche sorgten für einen relativ hohen Geräuschpegel in dem karg eingerichteten Zimmer. Jeder war schon gespannt auf den Leiter jenes ominösen Projekts, das so geheim war, dass man nicht einmal dessen Namen oberhalb der Erdkrume aussprechen durfte.
Als die beiden Türflügel des Saals unvermittelt aufgingen, trat fast augenblicklich Stille ein. Alle schauten neugierig auf den kleinen Mann, der ruhig am Eingang verharrte – ein lebendig gewordenes Standbild Julius Cäsars. Dieser Unbekannte war unverkennbar Italiener, zumindest italienischer Abstammung. Sein dichter lockiger Haarkranz war schon deshalb eindrucksvoller als der von Townsend, weil er, abgesehen von ein paar silbernen Fäden, wie ein Reif aus schwarzem Lorbeer das stolze Haupt umgab. Das Bewusstsein der eigenen wichtigen Stellung in dieser riesigen Behörde ließ sich unmittelbar an seiner betont aufrechten Körperhaltung ablesen. Hier stand einer, dem man so schnell nichts vormachen konnte.
Die schwarzen Augen des gut ein Meter sechzig großen Mannes blitzten unter den hängenden Lidern hervor und ließen auf einen gewieften Taktiker schließen, der seine Interessen stets im Blick behielt, ein Wesenszug, der von seiner schmalen raubvogelartigen Nase nur noch unterstrichen wurde.
Die Kleidung des Herrschers dieser Unterwelt fiel dagegen Stellas Meinung nach eher langweilig aus. Der Mann trug eine blaue Anzughose mit hellen Nadelstreifen, ein kurzärmeliges weißes Hemd und dazu eine rote Krawatte, auf der in Gold und Blau das Abzeichen eines ihr unbekannten Clubs prangte. Die sauber geputzten schwarzen Schuhe zeugten von der Reinlichkeit des Trägers, das zerknautschte Leder dagegen eher von seiner Sparsamkeit. Er war wohl doch nur ein Beamter mit begrenztem Budget. Einzig die großen rosigen, behaarten Ohrläppchen zogen noch für einen Augenblick Stellas Interesse auf sich, sie sahen aus wie reife Kaktusfeigen. Dann lenkte sie ohnehin die Stimme des Italoamerikaners von weiteren Betrachtungen ab.
»Mein Name ist Dr. Alban Cesare DiCampo«, stellte er sich vor.
Stella musste sich ein Lachen verkneifen. Cesare? Zu Deutsch: Cäsar! Sehr treffend.
»Wie Sie an meinem Namen unschwer erkennen können, fließt italienisches Blut in meinen Adern – oder wie manche bei anderer Gelegenheit behaupten, rot glühende Lava.«
DiCampo gönnte sich ein gepflegtes Lachen, das, ebenso wie seine Vorstellung, auf Stella irgendwie einstudiert wirkte.
Nachdem einige der Zuhörer DiCampos Herkunftshinweis mit höflichem Lächeln quittiert hatten, fuhr dieser fort: »Ich leite in dieser unterirdischen Basis ein Projekt von größter Wichtigkeit. Es unterliegt strengster Geheimhaltung. Allein schon dieser Umstand sollte Ihnen verdeutlichen, wie ernst die Regierung der Vereinigten Staaten die jüngsten, Ihnen allen bekannten Anschläge auf Computersysteme nimmt. Ich möchte allerdings keinen Hehl daraus machen, dass mir die Einschaltung der Öffentlichkeit in Bezug auf mein Projekt wenig Freude bereitet…«
»Vielen Dank für Ihre Direktheit«, unterbrach Agaf, ganz im Gegensatz zu seinen sonstigen Gepflogenheiten, den Projektleiter. »Aber es dürfte wohl nicht ganz passend sein, die Cyberworm-Einheit als ›Öffentlichkeit‹ zu bezeichnen, Dr. DiCampo. Immerhin sind wir vor Beginn unseres Einsatzes alle zu strengster Verschwiegenheit verpflichtet worden.«
Salomon brachte seinen Mund dicht an Stellas Ohr, ohne dabei den temperamentvollen Projektleiter aus den Augen zu lassen. »Hast du gehört,
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