Das Netz der Schattenspiele
Ihnen zuvor entwendetes Auge sowie Ihren abgeschnittenen Daumen präsentiert, haben Sie sicher Recht.«
Der Beamte wurde bleich. Doch als er das allgemeine Schmunzeln und Kichern der anderen bemerkte, entspannte er sich wieder und zwang sich zu einem gequälten Lächeln. »Sie sind ein Scherzbold, Professor Kalder.«
»Ich wollte Sie mit meiner Bemerkung nicht aus dem Konzept bringen, Mr. Townsend. Es interessiert mich brennend, wie Ihr System in der Praxis funktioniert.«
Der Beamte sah erst den Professor an, dann die mit Elektronik vollgestopfte Säule neben der Tür. Zahlreiche Augenpaare verfolgten jede seiner Bewegungen. Townsend lehnte sich vor, blickte in die Pförtnerkamera, schob verstohlen seinen Daumen auf die dafür vorgesehene Scannerfläche und sagte das Zauberwort: »Mickymaus.«
Wieder erfüllte leises Kichern das Foyer.
»Sie erhalten noch heute Ihr persönliches Zugangsprofil und können sich dann so gut wie ungehindert in dem Gebäude bewegen«, verkündete Townsend mürrisch. Der Enthusiasmus eines Fremdenführers war nun völlig von ihm abgefallen.
Die Glastür öffnete sich mit einem leisen Zischen.
»Du solltest deinen SESAM mal hierher in die Lehre schicken«, raunte Stella ihrem Vater zu.
»Unser Pförtner zu Hause ist noch ein Prototyp und im Vergleich zu diesem hier doch schon ein Greis«, verteidigte Salomon seine Entwicklung. »Im Übrigen habe ich nie behauptet, er sei unüberwindbar.«
»Komisch, gerade so kommt es mir aber vor.«
Die ungefähr dreißigköpfige Gruppe wurde mit zwei Fahrstühlen in das fünfte Untergeschoss des Gebäudes transportiert. Townsend gab sich geschäftsmäßig und sagte nur das Nötigste. Nach Verlassen des Lifts fanden sich die Männer und Frauen in einer wenig anheimelnden Welt aus grau glänzendem Linoleum und steril anmutenden, hell lackierten Wänden wieder. An der Decke hingen in regelmäßigen Abständen Leuchtstoffröhren unter milchigen Plastikabdeckungen. Stella entdeckte zudem auf Anhieb zwei Wandtelefone und drei Feuerlöscher.
»Wirklich gemütlich hier«, murmelte sie.
»Du musst es dir als Labor vorstellen, nicht als Wochenenddomizil«, antwortete eine weibliche Stimme neben ihr. Als Stella sich umwandte, sah sie in das verständnisvoll lächelnde Gesicht von Kimiko Shirakaba.
»Sagen Sie bloß, Sie finden es nicht scheußlich!«
»Ich musste schon Wochen in ganz anderen Löchern zubringen. Die schöne neue Welt der Technik kann manchmal ziemlich öde sein.«
Inzwischen hatte Townsend seine Schar vor eine zweiflüglige Holztür gebracht. »Treten Sie bitte schon mal ein. Sie finden in dem Raum Erfrischungen und einen kleinen Imbiss. Ich informiere inzwischen den Projektleiter, der Sie in Kürze begrüßen wird.«
Stella und ihr Vater sahen dem massigen Geheimdienstmann hinterher, der durch den Flur davonwatschelte. Dicht hinter ihm folgten Finmore und der »Rote John« – ein Beiname für den erregten Hünen aus dem Bus, der Stella ganz spontan eingefallen war.
»Au Backe, Paps!«, entfuhr es ihr auf Deutsch. »Da hast du ja genau die Richtigen auf die Palme gebracht. Jetzt werden sie ihrem Chef bestimmt deine ganzen Frechheiten petzen.«
»Du hast Friedman auch nicht gerade mit Samthandschuhen angefasst.«
Agaf, der nur die Blicke von Vater und Tochter deuten, nicht aber ihre Unterhaltung verstehen konnte, ergriff Salomons Oberarm. »Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, Mark. Versuchen Sie etwas umgänglicher zu sein. Wir werden hier in diesem Keller einige Tage, vielleicht sogar Wochen zusammenarbeiten müssen. Eine feindselige Stimmung würde es uns allen nur schwerer machen, das uns gesteckte Ziel zu erreichen.«
»Schon gut, Agaf. Ich werde versuchen meine Abneigung gegen diese Organisation im Zaum zu halten. Aber Sie werden auch verstehen, dass ich aus meinem Herzen keine Mördergrube machen kann.«
»Ich akzeptiere Ihren Standpunkt, aber im Moment zügeln Sie sich bitte etwas. Versprochen?«
Salomon nickte einsichtig. »Ihnen kann man ja sowieso kaum etwas abschlagen, Agaf. Ich werde tun, was ich kann. Zufrieden?«
»Mehr erwarte ich gar nicht.« Der Afrikaner klopfte Salomon freundschaftlich auf die Schulter. Dann zwinkerte er Stella zu und sagte: »Dasselbe gilt übrigens auch für dich, Starlet.«
Stella nickte wie ein braves kleines Mädchen. Doch dann runzelte sie die Stirn. »Starlet?«
Agaf lachte leise in sich hinein und sein langes afrikanisches Hemd tanzte auf und ab. »Stella ist das lateinische Wort
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