Das Netz im Dunkel
Jahre alt und wurde allmählich schwer. Die Kristalle, die sie überallhin mitschleppte, machten sie noch schwerer. Bald setzte ich sie wieder ab und ging langsamer. Ich muß vor Einbruch der Dunkelheit daheim sein, sagte ich mir immer wieder, ehe es anfängt zu regnen!
»Ich bin da, Arden!« rief ich. »Sicher in unserem Hof!«
»Dann geht hinein…und gute Nacht. Wenn du träumst, träum von mir.«
Seine Stimme aus dem Wald klang ganz nah, und ich lächelte traurig. Er war uns gefolgt, als wüßte er, was der ersten Audrina zugestoßen war, und wollte mich vor ihrem Schicksal bewahren.
Arden war seit einem Jahr im College, und ich feierte meinen sechzehnten Geburtstag. Arden hatte hervorragende Zensuren, aber für mich war es ein langweiliges Jahr, einsam in dem Haus und noch einsamer, wenn ich durch den Wald lief und Sylvia hinter mir herzog, um Billie zu besuchen. Ohne Arden schien das Häuschen halb leer, ohne Herz. Ich staunte über Billie, dieallein hier lebte und trotzdem noch lächeln konnte. Wieder und wieder las sie mir die Briefe vor, die Arden ihr schrieb, und ich las aus seinen Briefen an mich vor. Sie lächelte, wenn ich eine zärtliche Wendung überschlug, denn in seinen Briefen war er mutiger als sonst.
Die Highschool gefiel mir besser als die Mittelschule, aber die Jungs hier waren zudringlicher. Manchmal fiel es mir schwer, mich nur auf Arden zu konzentrieren, den ich so selten sah. Ich war sicher, daß er sich mit anderen Mädchen traf, von denen er nie schrieb, aber ich war treu, traf mich mit niemandem außer ihm, wenn er in den Ferien heimkam. Alle Mädchen waren neidisch, weil ich einen Freund hatte, der schon so alt war, daß er aufs College ging.
Die Pflege Sylvias füllte mein Leben aus, stahl mir jeden freien Augenblick, in dem ich mich mit Mädchen meines Alters hätte treffen können. Ich hatte keine Zeit für all die Vergnügungen, die sie genossen. Jeden Tag mußte ich so schnell wie möglich heim, für den Fall, daß ich Sylvia vor dem Stock meiner Tante bewahren mußte–und aus purer Gleichgültigkeit ließ meine Tante Sylvia unnötig leiden, wartete darauf, daß ich mich um ihre körperlichen Bedürfnisse kümmerte.
Meine Nachmittage verbrachte ich bei Billie, und in den Jahren, wo Arden fort war, brachte sie mir Kochen, Nähen, Einkochen bei. Manchmal versuchte sie vorsichtig, mir etwas über Männer zu erzählen und darüber, was sie von ihren Frauen erwarteten. »Eine körperliche Beziehung ist nicht alles, aber was die Männer angeht, ist sie sehr wichtig. Ein gutes, erfülltes Sexualleben ist ein guter Grundstein für eine lange, glückliche Ehe.«
Am Weihnachtsfest nach meinem siebzehnten Geburtstag bekamen wir eine Karte aus New York. Sie zeigte die Stadt vom Hudson River aus gesehen, alles inPastell und Blautönen, mit Schnee und Glitzer. Meine Tante knurrte, als sie die Nachricht las: »Ihr werdet mich wiedersehen, keine Sorge.«
Unterschrieben war sie von Vera. Es war das erste, was wir seit drei Jahren von ihr hörten.
»Wenigstens lebt sie noch, und dafür sollte ich dankbar sein. Aber warum hat sie die Karte an Damián und nicht an mich adressiert?«
Eine Woche später wachte ich plötzlich mitten in der Nacht auf. Seit Sylvia in mein Leben getreten war, hatte ich einen sechsten Sinn entwickelt. Selbst wenn ich schlief, wußte ich, wie die Zeit verging, wußte, wenn etwas geschah und wann ich gebraucht wurde. Als ich die lauten Stimmen wieder hörte, dachte ich zuerst an Sylvia. Blitzschnell sprang ich aus dem Bett und raste in ihr Zimmer. Aber sie schlief noch fest.
Unter der Schlafzimmertür meines Vaters schimmerte ein schmaler Lichtstreifen. Zu meinem Erstaunen hörte ich aus dem Zimmer die Stimme meiner Tante. »Damián, ich will nach New York fahren. Vera hat gestern angerufen. Sie braucht mich. Ich werde zu ihr fahren. Ich habe alles für dich getan, was ich konnte, und auch für deine Töchter. Du kannst dir jederzeit ein Mädchen einstellen, das kocht und putzt, und außerdem hast du ja noch Audrina, nicht wahr? Es ist dir gelungen, sie an Sylvia zu fesseln. Es ist nicht fair, was du da tust. Ich weiß, daß du sie liebst. Also laß sie aufs College gehen. Gib sie frei, Damián, ehe es zu spät ist.«
»Ellie, was würde mit Audrina geschehen, wenn sie von hier fortginge? Sie ist zu sensibel für die Welt da draußen. Ich bin sicher, daß sie diesen Jungen niemals heiraten wird, und er wird das herausfinden, sobald er sich ihr ein
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