Das Netz im Dunkel
sie sehr aufregend, herausfordernd, vor allem, wenn ich danach urteilte, wie Papas Augen aufleuchteten, während er sie noch anbrüllte und ihr auszureden versuchte, nach New York zu fahren.
Plötzlich machte er einen Satz, packte sie bei der Taille und zerrte sie, die um sich trat und sich wehrte, auf seinen Schoß. Sie schlug nach ihm, dann noch einmal, als er lachte und dem Schlag auswich, und irgendwie gelang es ihm dann, seine Lippen auf die ihren zu pressen. Jeglicher Kampfgeist verließ sie, als ihre Arme ihn leidenschaftlich umschlangen, sie seinen Kopf an ihren zog und stöhnte, als seine Lippen alle Vertiefungen und Hügel ihres Körpers erforschten. Ich sah wie erstarrt zu, wie er ihre Brüste küßte und gleichzeitig mit der Hand unter dem Frisiermantel herumfummelte.
»Du irrst dich, Ellie«, murmelte er, und sein Gesicht warvor Leidenschaft gerötet, als er aufstand und sie zu seinem Bett trug, »ich liebe dich auf meine eigene Art. So, wie ich auch Lucky auf ganz besondere Art geliebt habe. Es ist nicht meine Schuld, daß ich nicht mehr lieben kann, wenn das Objekt meiner Liebe tot ist. Ich muß schließlich weiterleben, oder nicht? Und auch wenn du glaubst, daß ich mich selbst mehr liebe als alle anderen, dann habe ich doch niemals versucht, dich zu täuschen, oder? Du könntest mich also wenigstens dafür respektieren, daß ich ehrlich gewesen bin, wenn schon aus sonst keinem Grund.«
Jetzt wurde mir erst richtig bewußt, wer der Mann war, den meine Mutter ihrer Halbschwester gestohlen hatte. Und genauso klar war mir nun, daß mein Vater auch Veras Vater war. Je mehr ich darüber nachdachte, desto weniger gefiel mir meine Mutter. Hatte sie ihrer älteren Schwester absichtlich den Liebhaber gestohlen?
Ich stand auf. Jetzt waren meine Tante und mein Vater erneut ein Paar. Merkwürdigerweise war ich nicht so entsetzt oder bekümmert, wie ich es früher gewesen wäre. Vielleicht hatte das Schicksal geheimnisvolle Wege, um alles zu einem gerechten Ende zu bringen. Mir schoß sogar der Gedanke durch den Kopf, daß die beiden vielleicht sogar schon zusammengewesen waren, als meine Mutter noch lebte–in diesem Haus, unter ihrem eigenen Dach. Gewiß gab es genug leerstehende Räume, die ihnen Platz und Gelegenheit geboten hätten. Meine Erinnerungen kehrten zu der Teestunde zurück, zu den Tagen, an denen Tante Mercy Maries Foto auf dem Klavier gestanden hatte. In meinem Kopf hörte ich all die harten Worte widerhallen, die meine Mutter und ihre Schwester gewechselt hatten. Nicht ein einziges Mal hatte meine Tante gezeigt, daß sie etwas anderes als eifersüchtig auf meine Mutter war. Nein, entschied ich, Tante Elsbethhatte zuviel Respekt vor sich selbst, war außerdem zu wütend auf Papa, um eine heimliche Affäre mit dem Mann zu haben, der sie einmal zurückgewiesen hatte, als Lucietta Whitefern noch am Leben war.
Ich machte mir Gedanken über diese Beziehungen und kam zu dem Schluß, daß Papa meine Tante brauchte und sie selbst seine Liebe als Belohnung empfand. Ich beschloß, sie niemals wissen zu lassen, daß ich über ihr Geheimnis Bescheid wußte. Lange Zeit verging, ehe meine Tante Vera noch einmal erwähnte.
Am Weihnachtsfest–ich war siebzehn–schob mir Arden einen Verlobungsring über den Finger und zog mich in die Arme. »Jetzt brauchst du kein Jahr mit einer Neun mehr zu fürchten. Wenn du neunzehn bist, wirst du meine Frau sein, und ich sorge dafür, daß dir niemals wieder etwas Böses zustößt.«
Im folgenden Juni machte ich meine Abschlußprüfung. Noch immer trug ich den Verlobungsring an einer Kette um den Hals. Mir fiel eine allmähliche Veränderung meiner Tante auf. Sie schien nicht mehr so zufrieden wie zuvor. Ich hatte sie nie für glücklich gehalten, bis ich sie jetzt richtig unglücklich erlebte. Sie ging selten irgendwohin. Andere Frauen ihres Alters gehörten BridgeClubs an, hatten ihren Kaffeeklatsch, aber meine Tante besaß keine einzige Freundin. Die Kleider, die sie daheim trug, waren alt, und die neuen, die sie trug, wenn sie ausging, suchte mein Vater aus, genauso, wie er auch meine Kleider auswählte. Sie hatte kein anderes Hobby als das Stricken, während sie sich die endlosen Fernsehspiele anschaute. Sie hatte mich, sie hatte Sylvia und Papa und ihr ewiges Kochen und Putzen–und als Belohnung ein paar Stunden vor ihrem neuen, selbstausgesuchten Farbfernseher. Und mir war niemals klargeworden, daß siemehr brauchte oder verdiente.
Sie beklagte sich nicht. Es
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