Das Netz im Dunkel
wenn sie stirbt, möchte ich, daß sie immer noch an mich glaubt und mich liebt.«
Wieder lachte sie. »Also stimmt es. Du bist dagewesen und hast nichts getan, um sie zu retten. Ein toller Freund bist du gewesen. Du bist fortgelaufen, Arden, fortgelaufen! Aber ich kann dich verstehen, wirklich, ich kann es verstehen. Sie waren soviel älter und größer, und du mußtest an dich selbst denken.«
Verwirrt versuchte ich, das alles zusammenzubringen–endlich kannte ich das Geheimnis der ersten Audrina, diekeine neun Jahre älter gewesen war. Aber warum hatte Papa mir eine solch alberne Lüge erzählt? Was hätte es für einen Unterschied gemacht, mir einfach die Wahrheit zu sagen? Das bedeutete, daß Vera mit der ersten und Unvergessenen gespielt hatte, daß ich niemals ihren Platz einnehmen konnte. Aber dann mußte ich sie ja auch gekannt haben! Mein Kopf fing an zu schmerzen. Lügen, mein ganzes Leben bestand aus Lügen, nichts ergab wirklich Sinn.
Tag für Tag pflegte Vera mich mit Abscheu, starrte mich angewidert an, bürstete mein Haar so rücksichtslos, daß sie es mir büschelweise ausriß. Mit unhygienischen Methoden führte sie einen Katheter ein, selbst wenn Arden im Zimmer war. Gott sei Dank hatte er genug Respekt und besaß den Anstand, sich abzuwenden.
Aber oft, wenn Vera irgendwo im Haus war, kam mein Mann zu mir und redete sanft mit mir, wobei er vorsichtig meine Arme und Beine bewegte.
»Liebling, wach auf. Ich möchte, daß du gesund wirst. Ich tue, was ich kann, um zu verhindern, daß die Muskeln in deinen Armen und Beinen schwinden. Vera sagt zwar, daß es keinen Sinn hat, aber deine Ärzte behaupten es. Vera will nicht, daß ich mit ihnen spreche, außer wenn sie selbst auch anwesend ist. Aus irgendeinem Grund scheinen sie Angst zu haben, etwas zu sagen; vielleicht hat Vera versucht mich davor zu schützen, zuviel zu erfahren. Sie bittet mich jeden Tag, die künstliche Ernährung zu unterbrechen. Sie selbst hat nicht die Nerven dazu. Ach, Audrina, wenn du dich doch nur selbst retten könntest, mich davor bewahren könntest, etwas zu tun, was den Rest meines Lebens ruinieren wird. Vera sagt mir immer, ich sei schwach…und vielleicht bin ich das auch, denn wenn ich dich Tag für Tag so sehe, dann denke ich, daß du totvielleicht besser dran wärst. Aber dann denke ich auch wieder, nein, du wirst dich erholen…aber, Audrina, wenn du noch dünner wirst, dann wirst du dahinwelken, selbst wenn Vera und ich nichts tun.«
Er war schwach. Er hatte bei ihr versagt, und jetzt versagte er bei mir. Trotz all seiner Liebeserklärungen ging er Nacht für Nacht zu Vera.
Dann, eines Tages, als ich die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte, kam Papa in mein Zimmer, Tränen in den Augen, die wie warmer Sommerregen auf mein Gesicht fielen. Ich versuchte mit den Augen zu blinzeln, um ihm zu zeigen, daß ich bei Bewußtsein war, aber ich hatte keine Kontrolle über die Augenlider. Ohne meinen Willen flogen sie auf oder fielen wieder zu.
»Audrina«, weinte er, fiel auf die Knie und umklammerte meine dünne, schlaffe Hand. »Ich kann dich nicht sterben lassen! Ich habe so viele Frauen in meinem Leben verloren. Komm zurück, laß mich nicht mit Vera und Sylvia allein. Sie sind nicht das, was ich brauche oder mir wünsche. Immer bist du es gewesen, auf die ich mich verlassen habe. Gott verzeih mir, wenn ich dir eine Last aufgebürdet habe, weil ich dich zu sehr geliebt habe.«
Papa ging mir auch auf die Nerven.
Wenn Papa noch einmal zu mir gekommen sein sollte, so war ich nicht bei Bewußtsein. Als ich das nächste Mal aufwachte, schienen Wochen vergangen zu sein. Jetzt war ich, wie ich als Kind gewesen war; ich hatte kein Gefühl für Zeit, also woher sollte ich es wissen? Wieder war ich im Bett. Mein Zimmer war leer. Das Haus war so still; es erschien mir so riesig und leer um mich her. Gelähmt lag ich da und versuchte zu überlegen, was ich tun konnte, um zu entkommen, während Vera anderweitig beschäftigt war.
Die Tür ging auf, und Arden und Vera kamen zusammen herein. Sie sprach zornig auf ihn ein. »Arden, manchmal bist du mehr ein Junge als ein Mann. Es muß einen legalen Weg geben, wie wir Damián zwingen können, dir sein Geld zu hinterlassen, wenn er stirbt. Es muß ihm doch klar sein, daß Audrina ihn nicht überleben wird und keinen Nutzen aus seinen Millionen ziehen kann.«
»Aber Sylvia wird immer Pflege brauchen, Vera. Ich kann Damián nicht böse sein, daß er für sie sorgen will. Sollte
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