Das Netz im Dunkel
Arme und Beine zu bewegen. Papa macht das auch, und seine Augen sind immer so voll Tränen, daß er auch nichts sehen kann. Die beiden sind so gebeugt von ihrem schlechten Gewissen, daß es ein Wunder ist, daß sie morgens überhaupt noch aufstehen und zur Arbeit gehen können.«
Sie warf einen Blick auf Sylvia, die es sich angewöhnt hatte, am Boden neben meinem Bett zu schlafen. »Hau ab da, Idiot!«
Sie machte eine Bewegung, die ich für einen Tritt hielt. Sylvia quiekte vor Schmerz auf, sprang hoch und taumelte zu ihrer dämmrigen Lieblingsecke. Dort hockte sie sich hin und beobachtete Vera mißtrauisch.
»Das letzte Bad«, trällerte Vera. »Möchte doch nicht, daß der Gerichtsmediziner glaubt, ich hätte dich vernachlässigt. Wir werden dir deinen Mann regelrecht aus dem Kopf waschen«, sang sie fröhlich, »werden das Gesicht anmalen und dich hübsch machen…aber nicht so hübsch, daß er zu lange weint.«
Sie machte meinen Tod zu einer Farce, als sie auf mich zukam, eine Schüssel mit warmem Wasser und mehrere Tücher in der Hand. Schnell nahm sie mich vom Tropf ab und drehte mich um, so daß mein Kopf über die Bettkante baumelte, in die Schüssel mit Wasser. Sie benutzte mehrere Kannen mit warmem Wasser, um den Schaum auszuspülen. Dann wurde ich wieder ins Bett gelegt, gewaschen, und zum Schluß zog sie mir eines meiner hübschesten Nachthemden über den Kopf. Sie schien eine Veränderung in der Flexibilität meines Körpers zu bemerken. Sie sah beunruhigt aus, zögerte, schüttelte dann den Kopf und fing an, mein Haar zu bürsten, das inzwischen fast trocken war.
Mehrmals benutzte sie Daumen und Zeigefinger, um meine Lider zu spreizen und mir in die Augen zu sehen. »Habe ich gerade gesehen, daß du dich bewegt hast? Audrina, ich könnte schwören, du hast dich bewegt. Du bist auch zusammengezuckt, als ich dich an deinem Haar gezerrt habe. Tust du nur noch so, als wärest du im Koma? Na, mir ist das egal. Spiel das Spiel nur weiter, dann wirst du dich in deinem Grab wiederfinden. Du hast schon zu lange gespielt, Audrina. Du bist jetzt so schwach, daß du nichts mehr tun kannst, um dir selbst zu helfen. Zu schwach zum Gehen, zu schwach zum Reden, und Papa und Arden sind fortgefahren, zu einer Konferenz in Richmond. Sie kommen erst spät heim. Ich werde bald in Ardens Wagen zur Kosmetikerin fahren, und unser neues Mädchen namens Ñola wird sich um dich kümmernmüssen.«
Meine Sinne schärften sich rasch.
Mein Überlebensinstinkt erwachte, als ich vor Angst bebte. Ich fragte mich, wie sie mich umbringen wollte und was ich tun konnte, um mich zu retten.
Sekunden später benutzte Vera mein Ankleidezimmer, um sich mit meinem Makeup zu schminken. Ich roch mein französisches Parfüm, meinen Körperpuder. Dann hörte ich sie in meinem Schrank wühlen. Nachdem sie gefunden hatte, was sie suchte, kam sie in meinem schönsten Sommerkleid ins Zimmer.
»Es ist August, Audrina. August in Paris. Was werden das für herrliche Flitterwochen werden. Noch ehe dieser Monat vorüber ist, wird Arden Lowe mir gehören…und er hat genug Beweismaterial gegen Papa, um ihn ins Gefängnis zu bringen. Er will es nicht benutzen, denn der liebe Papa hat sich geändert und betrügt nicht mehr. Dein edler Arden hat dafür gesorgt, daß er damit aufhört. Ich will Papa ohnehin eigentlich nicht im Gefängnis haben. Ich will ihn da haben, wo ich ihn greifen kann, wo ich ihn bezahlen lassen kann, bezahlen und bezahlen. Und wenn ich all sein Geld habe, dann kommt Papa ins Altersheim, und die liebe kleine Sylvia wird auch ihre gerechte Belohnung bekommen. Ich finde es sehr romantisch, daß du im Sommer stirbst. Wir können all die Rosen auf dein Grab legen, die du so geliebt hast. Kannst du dich noch an die erste Pralinenschachtel erinnern, die Arden dir geschenkt hat, zum Valentinstag? Und ich habe jedes einzelne Stück gegessen? Ich habe dich schon damals gehaßt, weil du ihn interessiert hast, wo ich im Alter viel besser zu ihm gepaßt hätte. Du warst drei Monate lang bewußtlos…weiß du das? Ich hoffe, du kannst mich wirklich hören. Dein Mann behauptet, er und du, ihr hättet endlich zueinandergefunden, gerade ehe du die Treppehinabgestürzt bist. Wirklich, Audrina, du kannst aus deinem Leben schon eine Schande machen. In diesem Haus fallen zu viele Leute. Irgend jemand hätte Sylvia einsperren lassen sollen, ehe noch jemand stürzt. Du hast eine Mörderin behütet, Audrina. Aber du brauchst dir über nichts mehr Sorgen
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