Das Netz im Dunkel
Davonlaufen zog Arden den Reißverschluß seiner Hose zu, und gleich darauf verschwand er im Tag, den das Unwetter zur Nacht gemacht hatte. Es war vielleicht sechs Uhr, und das Abendrot hätte den Himmel lebhaft färbensollen, aber es war finster, der Sturm wütete mit aller Kraft, und ich suchte keinerlei Schutz, sondern ließ mich einfach zu Boden fallen und weinte.
Nur Minuten schienen vergangen zu sein, als Arden auch schon wiederkehrte. Er schrie mich an, ich solle aus dem Weg gehen, stellte dann einen Fuß auf den Spaten und grub wild in der nassen Erde. Er stöhnte und keuchte, als er den Schmutz beiseite schaufelte. »Das Grab hier liegt nur sechs Fuß über dem Meeresspiegel. Das Gesetz verlangt einen Betonbehälter für einen Sarg…ich müßte bald darauf stoßen.«
Der Regen blendete mich. Ich kroch näher, damit ich hinabsehen, ihre Gruft sehen konnte. Arden grub tiefer und tiefer, bis Wasser in dem tiefen Loch stand. Ich kniete direkt am Rand, und der Schlamm unter mir fing plötzlich an zu gleiten. Ich schrie auf und suchte nach etwas, um mich festzuhalten, aber ich war unfähig, die Bewegung aufzufangen. Arden brüllte »Zurück!«, aber da stürzte ich schon auf ihn, und wir glitten beide in das leere Grab hinab.
Verständnislos starrte ich ihn an. »Arden…heißt das, daß ich wirklich die erste, die unvergessene Audrina bin?«
Aus seiner tiefen Stimme klang Kummer. »Ja, Liebling.«
Er warf die Schaufel hinaus und umarmte mich. »Dein Vater hat nicht gelogen. Er hat die Wahrheit erzählt.«
Alle Kraft, die ich zuvor gespürt hatte, verging. Ich wurde willenlos in seinen Armen, ertrank in der Erkenntnis, daß ich es gewesen war, die mit neun Jahren vergewaltigt worden war, und daß meine gesamte Familie–Mammi, Papa, Tante Elsbeth und sogar Vera–mich getäuscht hatten. Für was hielten sie mich eigentlich? Für einen Feigling, der nicht damit fertig geworden wäre? Setzten mich in diesen verdammten Schaukelstuhl, damitich Frieden und Zufriedenheit finden würde, das Besondere finden würde, das sie ihre ›Gabe‹ nannten, und das, obwohl ich selbst diese Audrina gewesen war? Ich war die erste, die unvergessene Audrina, und sie hatten mich an diesen Ort gebracht, hatten mich gezwungen, Blumen auf ein Grab zu legen, das in Wirklichkeit meines war. O Gott, nicht ich war verrückt–sie waren es!
Irgendwie gelang es Arden, mich zuerst aus dem Grab zu hieven, dann kletterte er selbst aus dem Loch. Er wollte mich zum Haus zurücktragen, aber das würde Papa und Vera wieder zeigen, daß ich nicht stark genug war. Erschöpft und enttäuscht gelang es mir, neben Arden zu gehen, während der Regen unsere Kleider an unseren Körpern und das Haar an unseren Köpfen kleben ließ. Wie Schwerverwundete taumelten wir blindlings vorwärts, zurück zu dem Haus des Verrats und Betrugs. Als wir dort ankamen, hatte der Regen uns beide vom Schmutz befreit.
Sobald wir im Haus waren, drängte Arden mich ins Badezimmer im Erdgeschoß und frottierte meine Haare. Während ich zitternd vor ihm stand, zog er mir meine Sachen aus. Meine Zähne klapperten, ich bekam eine Gänsehaut auf den Armen. Arden nibbelte mich mit einem sauberen Handtuch trocken, ehe er sein Gesicht zwischen meine Schenkel preßte. Ich fuhr hoch wie elektrisiert, als er mich dort küßte. Warum hatte er mich nie zuvor dorthin geküßt?
»Du hast mir niemals erlaubt, etwas Derartiges zu tun«, sagte er, als er einen weißen Bademantel aus dem Wäscheschrank holte und ihn mir hinhielt, damit ich hineinschlüpfen konnte. Seine Lippen streiften meine Schulter, ehe er den Mantel fester zusammenzog. »Zieh dich nie wieder vor mir zurück. Schreie und kreische und kämpfe, aber erstarre nicht wieder, sperr mich nicht wieder aus deinem Leben. Ich weiß nicht, was ich mit dirmachen soll, wenn du schweigsam und kalt wirst. Heute, als du gekämpft und geschrien hast, da hatte ich das Gefühl, du wärest endlich lebendig, und zum ersten Mal hattest du dein Leben unter Kontrolle. Auch wenn du gedacht hast, du wärest geschlagen worden–in Wahrheit warst du der Sieger. Du hast mir gezeigt, wie wundervoll unser Leben von nun an sein wird.«
Ich konnte jetzt überhaupt nichts entscheiden. Ich mußte Papa finden, ihm gegenübertreten. Ich hatte so viele Fragen. Ich würde ihn zwingen, sie zu beantworten, wenn es sein mußte. Ich entzog mich Ardens Umarmung. »Ich muß jetzt Papa sehen, und dann können wir über uns sprechen.«
Ungeduldig wartete ich, bis
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