Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Netz im Dunkel

Das Netz im Dunkel

Titel: Das Netz im Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
Vom Netzwerk:
Ruhe.«
    Es war schrecklich, einen Vater zu haben, der Gedanken lesen konnte. Ich mußte noch einmal versuchen ihm klarzumachen, wie sehr ich Freunde brauchte. »Aber, Papa, du hast doch zu Mammi gesagt, sie könnte die neue Nachbarin dienstags zum Tee einladen.«
    »Nein, nicht nach dem, was ich über sie herausgefunden habe. Es gibt eine Menge alter Sprichwörter, und die meisten davon sollte man ernst nehmen. Gleich und gleichgesellt sich gern–und ich möchte nicht, daß du dich zu jemandem gesellst, der unter dir steht. Einfache Leute werden dir deine Besonderheit rauben, werden dich einfach zu einem weiteren Mitglied ihrer Herde machen. Aber ich möchte, daß du eine Anführerin wirst, eine, die aus der Menge hervorragt. Die Menschen sind dumm, Audrina, dumme Schafe, bereit, jedem zu folgen, der anders ist. Außerdem brauchst du dir auch keine Sorgen über Freunde zu machen, wo deine Familie doch bald schon größer sein wird. Denk doch nur, wieviel Spaß du mit einem kleinen Bruder oder einer kleinen Schwester haben wirst. Mach dieses Baby zu deinem besten Freund.«
    »So, wie Mammi und ihre Schwester Freundinnen sind?«
    Er warf mir einen scharfen Blick zu. »Audrina, mit deiner Mutter und ihrer Schwester kann man nur Mitleid haben. Sie wohnen im selben Haus, nehmen dieselben Mahlzeiten ein, weigern sich aber anzunehmen, was jede von ihnen der anderen geben könnte. Wenn sie diese Mauer des Grolls doch nur durchbrechen könnten. Aber das werden sie nie. Jede hat ihren Stolz. Stolz ist etwas Wunderbares, aber er kann auch zu groß werden. Was du Tag für Tag zu sehen bekommst, ist Liebe, die auf den Kopf gestellt und zu Rivalität geworden ist.«
    Ich verstand ihn nicht. Erwachsene waren wie Prismen; ständig wechselten sie die Farben und brachten meine Gedanken durcheinander.
    »Liebling, versprich mir, daß du nie mehr in den Wald gehen wirst.«
    Ich versprach es ihm. Er preßte die Finger meiner Hand so fest, daß ich es einfach versprechen mußte. Jetzt schien er zufrieden, und der Druck ließ nach. »So, und jetzt sag’ich dir, was ich von dir möchte. Deine Mutter braucht dichjetzt, wo sie sich wegen der Schwangerschaft nicht wohl fühlt, besonders. Versuch ihr zu helfen, so gut du kannst. Und versprich mir, niemals fortzulaufen, ohne mir zu sagen, wo du bist.«
    Aber er würde mich doch nie irgendwohin gehen lassen, niemals! Glaubte er, ich könnte davonlaufen?
    »Ach, Papa«, heulte ich und warf meine Arme um ihn. »Ich werde dich niemals verlassen! Ich werde bei dir bleiben und mich um dich kümmern, wenn du alt bist. Ich werde dich immer lieben, ganz gleich, was passiert!«
    Er sah mich traurig an und schüttelte den Kopf. »Das sagst du jetzt, aber du wirst nicht mehr daran denken, wenn du einen jungen Mann kennen- und liebenlernst. Dann wirst du mich vergessen und nur noch an ihn denken. So ist das Leben nun einmal. Die Alten müssen den Jungen weichen.«
    »Nein, Papa, du kannst bei mir bleiben, selbst wenn ich heirate…was ich nicht glaube.«
    »Ich hoffe nicht. Ehemänner wollen die Eltern nicht in der Nähe haben. Niemand will sich von alten Leuten das Leben schwermachen lassen. Außerdem sind sie teuer. Darum muß ich auch soviel Geld verdienen–als Sicherheit für mein Alter. Und das deiner Mutter.«
    Ich starrte zu ihm hinauf. Ich hatte das Gefühl, daß er niemals alt werden würde. Er war viel zu stark, zu lebhaft, als daß das Alter ihm hätte graue Haare und Falten im Gesicht verleihen können. »Sind alte Damen auch nicht gern gesehen?« erkundigte ich mich.
    »Nicht, wenn sie so sind wie deine Mutter«, antwortete er und lächelte bitter. »Irgend jemand wird deine Mutter immer haben wollen. Und wenn kein Mann sie mehr haben will, dann wendet sie sich an dich…Sei also für sie da, wenn sie dich braucht. Und sei auch da, wenn ich dichbrauche.«
    Mich schauderte. Mir gefiel dieses ernste Erwachsenengespräch nicht, schon gar nicht, wo ich gerade den ersten Jungen kennengelernt hatte, den ich gern haben konnte. Wir näherten uns dem Waldrand. Die Bäume standen jetzt weiter auseinander, und gleich darauf fing der Rasen an. Papa redete immer noch.
    »Liebling, im Haus ist eine alte Dame, die du noch nie gesehen hast. Deine Mutter und ich, wir wünschen uns so sehr einen Jungen, daß wir einfach nicht bis zur Geburt warten können, um herauszufinden, was wir bekommen werden. Man hat mir gesagt, daß diese Dame, Mrs. Allismore, das Geschlecht eines ungeborenen Kindes voraussagen

Weitere Kostenlose Bücher