Das Netz im Dunkel
Polka, zu der alle einfach tanzen mußten. Wenn man Papa glauben konnte,dann war Mammi alles mögliche für die Leute, aber niemals sie selbst. Wenn ihr Publikum klassische Musik wünschte, dann würde sie sie spielen; wollte es eine populäre Ballade, würde es sie bekommen. Wenn man sie fragte, welche Art von Musik sie am liebsten hatte, dann antwortete sie: »Ich mag alle Richtungen.«
Ich fand es wundervoll, so aufgeschlossen zu sein, so flexibel und vielseitig. Tante Elsbeth mochte keine Musik, die nicht von Grieg war.
Nach all dem Spaß, den Mammi zu haben schien, war es schwer, sich vorzustellen, daß sie sich den ganzen Tag lang beschwert hatte, für diese Leute, die sie eigentlich gar nicht mochte, schuften zu müssen. »Wirklich, Damián, du erwartest einfach zuviel von mir. Ich bin im sechsten Monat, man sieht es schon deutlich, und du willst, daß sie mich so sehen?«
»Du bist wunderbar, und das weißt du auch, schwanger oder nicht. Du siehst immer sensationell aus, wenn du Makeup auflegst, ein leuchtendes Kleid anziehst und dein strahlendes Lächeln aufsetzt.«
»Heute morgen hast du mir noch gesagt, ich sähe schrecklich aus.«
Ihre Stimme klang heiser vor Müdigkeit.
»Und es hat gewirkt, oder nicht? Du bist aus dem Bett gesprungen, hast dir die Haare gewaschen, die Nägel lackiert, und ich habe dich noch nie hübscher gesehen.«
»Damián, Damián«, hatte meine Mutter da geflüstert, mit von Gefühlen erstickter Stimme, und dann war die Tür zugefallen. Ich stand allein im Flur vor ihrem Schlafzimmer und fragte mich, was sie taten, nachdem Papa die Tür zugestoßen hatte.
Alles, was sie gesagt hatten, hallte jetzt in meinem Kopf wider, als ich Mammi am Klavier beobachtete. Sie war soschön. Im Vergleich mit ihr sah meine Tante nichtssagend aus. Sie trug ein Kleid, das für die Küche passend war, aber für sonst gar nichts.
Ich quietschte auf vor Schmerz, als ich in den Arm gekniffen wurde. Da stand Vera im Nachthemd. Dabei sollte sie nicht herunterkommen, ehe Papa es ihr sagte–und bislang hatte er das nicht getan. Vera kam niemals in meine Nähe, ohne mir irgendwie weh zu tun. »Deine Mutter ist nichts weiter als eine große Angeberin«, flüsterte sie. »Eine Frau, die schwanger ist, sollte sich nicht mehr zeigen.«
Aber als ich dann zu Vera hinblickte, sah ich Bewunderung in ihren Augen, auch sie war vom Rhythmus der Musik gefangen.
»Die erste Audrina konnte auch so Klavier spielen«, sagte Vera leise in mein Ohr. »Sie konnte auch Noten lesen, und die Aquarelle, die sie gemalt hat! Du dagegen kannst überhaupt nichts.«
»Du auch nicht!« fuhr ich sie an, aber ich war wieder verletzt. »Gute Nacht, Vera. Du solltest besser verschwinden, wie ich es tue, sonst sieht Papa dich noch und bestraft dich wieder.«
Ich eilte in mein Zimmer zurück. Auf halbem Weg die Treppe hinauf drehte ich mich noch einmal um. Vera stand noch immer hinter der Portiere, hielt sich daran fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, während ihre Füße im Rhythmus der Musik über den Boden glitten. Sie schaute bis zum Ende zu.
Erst nachdem der Lärm unten aufhörte, konnte ich einschlafen. Normalerweise schlief ich unruhig und Vera ganz tief. Ich wünschte, ich könnte das auch, als ich einschlief, um Sekunden später–so schien es mir jedenfalls–bereits wieder geweckt zu werden. MeineEltern stritten heftig miteinander.
Kein Wunder, daß Mammi Parties mit Papa nicht mochte. Jedesmal hörte eine Party bei uns so auf. Lieber Gott, betete ich, als ich aus dem Bett glitt, heute ist mein neunter Geburtstag, und das ist kein guter Anfang dafür. Bitte, laß es ganz sanft enden.
Vera kniete bereits auf dem Teppich im Flur und spähte durchs Schlüsselloch. Sie hielt einen Finger an die Lippen und machte mir schweigend ein Zeichen, fortzugehen. Es gefiel mir nicht, wie sie meine Eltern bespitzelte, und ich weigerte mich zu gehen. Statt dessen kniete ich neben ihr und versuchte, sie beiseite zu stoßen. Papas kräftige Stimme drang durch die schwere Eichentür. »Und noch dazu in deinem Zustand. Du hast getanzt wie ein billiges Flittchen. Du hast einen Narren aus dir gemacht, Lucietta.«
»Laß mich in Ruhe, Damián!« schrie Mammi. Ich mußte sie schon mindestens hundertmal so schreien gehört haben. »Du lädst Gäste ein, ohne es mir vorher zu sagen. Du ziehst los und kaufst Sachen, die wir uns nicht leisten können, und Blumen und Sekt für sie, und dann reichst du selbst mir sogar ein Glas; und wenn
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