Das Netz im Dunkel
vor, als wäre ich ein Scheusal. Aber das kommt nur daher, daß ich der einzige Mann in einem ganzen Haus voller Frauen bin, die alle darauf aus sind, mich zu vernichten. Sogar du versuchst es schon auf deine eigene Art. Und jetzt raus! Alle beide!«
»Du tust Mammi auch bestimmt nicht weh?«
Ich blieb stehen und wartete auf eine Antwort, obwohl er einen Schritt vorwärts machte.
»Natürlich tue ich Mammi nicht weh.«
Aus seiner Stimme klang Sarkasmus. »Wenn ich sie schlagen und verletzen würde, müßte ich schließlich die Arztrechnungen bezahlen, nicht wahr? Außerdem ist mein Sohn in ihr, und ich denke an ihn.«
Mühsam setzte sich meine Mutter auf und rief mich zu sich. Sie öffnete die Arme, als ich näher kam. Ihre Küsse auf meinem Gesicht waren feucht. »Tu, was dein Vater sagt, Liebling. Er wird mir nicht weh tun. Er hat mir noch nie richtig weh getan körperlich.«
Unentschlossen blickte ich von ihr zu Papa, als er Vera aus dem Zimmer drängte und ihr noch einen harten Schlag aufs Hinterteil versetzte. Dann drehte er sich zu mir um. Ich fürchtete, daß er auch mich schlagen würde, aber er umarmte mich statt dessen. »Tut mir leid, daß ich dich aufgeweckt habe. Wenn ich zuviel trinke und dann in denSpiegel schaue, sehe ich einen Narren, der nicht weiß, wann er aufhören muß. Und dann will ich immer jemanden bestrafen, weil ich selbst versagt habe.«
Ich verstand kein Wort von alldem.
»Alles wird wieder gut werden. Die Party ist vorbei.«
Schmerz und Scham stand in seinen Augen. »Geh jetzt wieder ins Bett und vergiß alles, was du hier gesehen und gehört hast. Ich liebe dich, und ich liebe deine Mutter, und das heute abend war die letzte Party, die ich gegeben habe. Ein für allemal.«
Als ich in meinem Bett lag, quälten mich Zweifel über Männer, über die Ehe. In jener Nacht beschloß ich, niemals zu heiraten, nicht in einer Million Jahren, nicht, wenn alle Männer so sein konnten wie Papa, wundervoll und schrecklich; falsch und liebevoll und grausam, selbst wenn sie liebten, beleidigend, kritisierend raubten sie einem das Selbstvertrauen, setzten Verachtung an seine Stelle und das tiefe Gefühl von Scham, einfach bloß, weil man eine Frau war.
Vielleicht hatte Tante Elsbeth recht. Männer waren die Könige der Berge, die Könige der Wälder, Könige daheim und im Büro und überall–einfach, weil sie Männer waren.
Ein Alptraum bei Tageslicht
In jener Nacht, als ich dann endlich eingeschlafen war, warf ich mich unruhig hin und her, träumte entsetzliche Dinge. Aber ich wagte es nicht, zu weinen oder zu schreien, aus Angst, Papa könnte in mein Zimmer eilen und mich ausfragen.
Von nun an würde ich alles allein regeln, was auch immer in meinem Leben nicht in Ordnung war. Wie konnte ich ihm auch nur einen einzigen Schlag ins Gesicht meiner Mutter verzeihen?
Verwirrung war mir ein bekannter Geisteszustand. Warum also fühlte ich mich so deprimiert und enttäuscht von jemandem, den ich liebte, wenn ich doch die ganze Zeit über gewußt hatte, daß ich ihn auch hassen konnte? Meine eigene Widersprüchlichkeit verblüffte mich, aber irgendwie gelang es mir, mich in einen leichten Traum zu flüchten. Schreckliche Visionen von knochigen Körpern quälten mich, die über eine zerbrechliche Brücke ins Nichts stürzten.
Ich zwang mich dazu, aufzuwachen. Tränen hatten mein Kissen genäßt. Ich vermutete, daß der Tag nur wenig Vergnügen für mich bereithalten würde. Die Tränen, die ich im Schlaf geweint hatte, hatten sicher einen sehr guten Grund.
Kummer umgab mich, als ich mich in der Morgendämmerung wusch, anzog und dann leise die Treppe hinunterschlich. Das Haus war voll düsterer Schatten; kein einziger Sonnenstrahl fiel durch die Bleiglasfenster. Ich mußte jetzt nicht über die Farben springen, aber ich wünschte sie mir zurück, damit der Tag hellerschien,gewöhnlicher.EinBlickausdemKüchenfenster zeigte mir einen dunklen Himmel, der Regen verhieß. Morgennebel hing schwer über dem River Lyle. Aus der Ferne klangen traurig die Nebelhörner, und Schiffe, die in See stachen, ließen ihren melancholischen Abschiedsgesang ertönen. Die Möwen, die sich immer an der Stelle aufhielten, wo Mammi die Enten und Gänse fütterte, waren zu hören, aber ich konnte sie nicht sehen. Ihre schrillen, klagenden Schreie drangen erstickt und gespenstisch an mein Ohr, und ich bekam eine Gänsehaut. An einem solchen Tag konnte nur Schreckliches passieren.
Schick die Sonne heraus, lieber Gott,
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