Das Netz im Dunkel
schick das Licht. Es ist mein neunter Geburtstag, Gott, und an diesem Tag ist die erste und unvergessene Audrina im Wald gestorben.
Ich wünschte mir, daß der Nebel sich verzöge, damit er mir sagte, daß dieser, mein Geburtstag, nichts Schreckliches verhieß. Ich stand in der Nähe der Treppe und wartete darauf, die Schritte meiner Mutter zu hören, oder die vertraute Art, wie sie immer vor sich hinsummte, wenn sie sich anzog und oben umherging. Beeil dich und komm nach unten, Mammi, ich brauche dich, ich muß dich sehen. Sie würde mir meine Angst nehmen.
Ich verließ die Küche, die so trübe wirkte, wenn Mammi nicht dort war, und ging ins Eßzimmer hinüber. Alle zwanzig Stühle waren um einen riesigen, rechteckigen Tisch aufgereiht. Dieser Tisch gab einen wunderbaren Tanzboden ab. Wenn niemand in der Nähe war, zog ich oft meine Schuhe aus und kletterte hinauf. Aber heute war das Zimmer düster und kaum der geeignete Ort, um zu tanzen. Niemand hatte die schweren, grünen Vorhänge aufgezogen, um etwas Licht ins Zimmer zu lassen. Mammi machte das immer, sobald sie unten ankam. Als ich die Vorhänge geöffnet hatte und mich dann umsah, wirkte der schönste Raum des Hauses noch immer grimmig und düster.
Irgendwo mußte es einen Kalender geben, auf dem ich meinen Geburtstag mit einem roten Kreis kennzeichnen konnte. Aber ich wollte keinen roten Kreis, denn dies war auch ihr Geburtstag gewesen. An diesem Tag wäre sie achtzehn Jahre alt geworden. Wie jung Mammi gewesen sein mußte, als sie Papa geheiratet hatte. Als ich aus dem Fenster sah, entdeckte ich die ersten Regentropfen. Oh, lieber Gott, regnete es denn immer am neunten September?
Arbeit. Tante Elsbeth sagte immer, daß sie keine Zeit hätte, sich um irgend etwas Sorgen zu machen, wenn sie arbeitete. Genau das würde ich tun. Ich würde den Speck braten, die Eier schlagen, Omelettes machen, nach dem Essen die Teller abwaschen, und Mammi könnte sich einfach hinsetzen und sich darüber freuen, wie gut sie mich erzogen hatte. Wenn bloß Tante Elsbeth und Vera den Mund halten würden.
Kaum hatte ich die Bratpfanne auf die Gasflamme gestellt, darauf bedacht, den Speck in die kalte Pfanne zu tun, damit er sich nicht krümmte, da wurde ich auch schon grob beiseite gedrängt. »Was, zum Teufel, treibst du hier?« fuhr meine Tante mich an.
»Ich helfe Mammi.«
Die arme Tante Elsbeth konnte überhaupt nicht kochen. Keiner wollte sie in der Küche sehen, außer, um den Boden zu schrubben oder die Fenster zu putzen.
»Was für ungezogene Gedanken hast du eigentlich im Kopf?« schimpfte meine Tante und übernahm die Pfanne. Sofort stellte sie die Flamme zu hoch. Sie wollte nicht auf mich hören, als ich ihr sagte, sie müßte die Flamme klein halten.
Ich zog hervor, was ich brauchte, um für fünf Personen zu decken, und beobachtete dabei meine Tante. Eine Tasseglitt mir aus der Hand und zerbrach am Boden. Wie erstarrt stand ich da. Es war Papas Lieblingsbecher. Der einzige, aus dem er trinken wollte. Jetzt hatte er noch mehr Grund, wütend auf mich zu sein.
Meine Tante warf mir einen geringschätzigen Blick zu. »Jetzt sieh nur, was du angerichtet hast. Du wärst eine größere Hilfe, wenn du dich der Küche fernhalten würdest. Dieser Kaffeebecher war der letzte aus dem Service, das deine Eltern zur Hochzeit geschenkt bekommen haben. Dein Vater wird platzen, wenn er hört, was du getan hast.«
»Was hat die Verrückte denn diesmal angestellt?« fragte Vera, als sie in die Küche hinkte. Sie ließ sich auf einen Stuhl fallen und stützte die Arme auf den Tisch, damit sie den Kopf in die Hände legen konnte. »Ich schlafe immer noch. Das ist ein schrecklich lautes Haus. Nie kann man hier anständig schlafen.«
Den Tisch zu decken war das einzige, von dem ich annahm, daß ich es richtig machte. Und jetzt schimpfte meine Tante und erklärte, daß ich zu viele Teller hingestellt hatte. »Drei Gedecke, Mädchen. Das reicht.«
Ich starrte sie an. »Warum denn nur drei?«
Sie drehte den Speck wieder um. »Deine Mutter hat kurz vor Sonnenaufgang Wehen bekommen. Scheint so, daß all ihre Kinder genau dann kommen müssen, wenn ich gerade eingeschlafen bin.«
»Wehen–heißt das, Mammi bekommt heute das Baby?«
»Natürlich.«
»Aber ist das Baby nicht zu früh?«
»Das ist eben manchmal so. Man kann nie genau vorhersagen, wann ein Baby kommt. Sie ist Ende des sechsten Monats, fast schon im siebten. Auch wenn der Arzt die Wehen nicht aufhalten kann, hat das
Weitere Kostenlose Bücher