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Das Netz im Dunkel

Das Netz im Dunkel

Titel: Das Netz im Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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gebrochener Knochen würde mir den Appetit verderben.«
    Mammi stand auf, um nach Vera zu sehen. »Wag es ja nicht!« befahl Papa. »Du siehst so müde aus, als wolltest du gleich umfallen, und ich möchte, daß du heute abend auf der Party hübsch und ausgeruht bist.«
    Noch erschütterter stand ich auf und ging zur Treppe. Papa rief mich zurück, aber ich ging weiter, nahm immer drei Stufen auf einmal. »Ich komme, Vera!« rief ich dabei.
    Vera lag nicht mit gebrochenen Knochen in ihrem Zimmer auf dem Boden, wie ich es erwartet hatte. Ich lief herum und fragte mich, wo sie sein könnte. Dann hörte ich sie zu meiner Verblüffung im Zimmer der ersten Audrina, wo sie sang:
Nur ein Spielzimmer im sichern Zuhaus, nichts als ein Spielzimmer im sichern Zuhaus, ich weine nicht, ich fürchte nichts, muß nicht in die Welt hinaus, denn mein Papa behält mich immer zu Haus, in meinem Spielzimmer im sichern Zuhaus …
    Mir kam es so vor, als hätte ich noch nie ein so trauriges, mitleiderregendes Lied gehört; sie sang, als würde sie ihre Seele dem Teufel verkaufen, nur um ich sein zu können und gezwungen zu werden, in dem Stuhl zu sitzen, den ich so verabscheute.
    Zögernd kehrte ich wieder in die Küche zurück, wo ein unerklärlich jovialer Papa einer griesgrämigen Mammi erzählte, daß eine Party genau das richtige wäre, um ihreLaune zu bessern.
    »Wie geht’s Vera?« erkundigte sich Mammi. Ich antwortete, daß es Vera gutginge und sie sich nichts gebrochen hätte, erwähnte aber nicht, daß sie im Schaukelstuhl saß und den Schlüssel von Papas Schlüsselring gestohlen haben mußte.
    »Hab’ich’s dir nicht gleich gesagt?« meinte Papa. »Lucky, sobald Audrina mit dem Essen fertig ist, machen wir einen Spaziergang am Fluß entlang.«
    Er stand auf. Es kam mir so vor, als hätte er seine Serviette absichtlich in die halbvolle Kaffeetasse geworfen. Mammi zog die Serviette aus der Tasse und warf ihm einen Blick zu, der eindeutig besagte, daß er sich wieder mal als der Dreckfink gezeigt hatte, der er nun einmal war. Sie wagte es jedoch nicht, irgend etwas zu sagen. Es hätte auch keinen Zweck gehabt. Papa tat, was er wollte, und das würde er immer tun.
    Er nahm meine Hand und führte mich zum Rasen hinter dem Haus, der sanft zum Fluß hin abfiel. Das funkelnde Wasser ließ den Tag wunderschön erscheinen. Papa lächelte mich an. »Morgen ist dein neunter Geburtstag, Liebling.«
    »Papa«, rief ich aus und starrte ihn an. »Wie kann morgen mein neunter Geburtstag sein, wo ich heute doch erst sieben Jahre alt bin?«
    Es schien ihm für einen Augenblick die Sprache zu verschlagen. Wie immer, wenn er nicht sofort wußte, was er sagen sollte, streichelte er mir übers Haar, rieb dann mit dem leicht gekrümmten Finger über meine Wangen. »Süßes, hab’ich dir nicht schon oft gesagt, daß wir dich deswegen eben nicht zur Schule schicken? Du gehörst zu den seltenen Menschen, die überhaupt kein Zeitgefühl haben.«
    Er sprach deutlich und sah mir in die Augen, als müßte er diese Information dort einbrennen. »Wir feiern in unserem Haus keine Geburtstage mehr, weil das irgendwie deinen eigenen, besonderen Kalender durcheinanderbringt. Vor zwei Jahren und einem Tag warst du sieben Jahre alt.«
    Was er da sagte, war unmöglich! Warum hatte er mir nicht erzählt, daß ich acht Jahre alt war und nicht sieben? Versuchte er absichtlich, mich verrückt zu machen? Ich legte die Hände vor die Ohren, um alles andere auszuschließen, was er vielleicht noch sagen würde. Mit fest zusammengekniffenen Augen zermarterte ich mir das Hirn, versuchte mich daran zu erinnern, daß irgend jemand mir gesagt hatte, daß ich acht Jahre alt sei. Aber ich konnte mich nicht erinnern, daß irgend jemand etwas anderes als das Alter von sieben erwähnt hatte.
    »Audrina, Liebes, nun schau doch nicht so verängstigt. Versuche nicht, dich zu erinnern. Glaub einfach, was dein Papa dir erzählt. Morgen ist dein neunter Geburtstag. Papa liebt dich, Mammi liebt dich, und sogar Ellie mit ihrer spitzen Zunge liebt dich, wenn sie auch nicht wagt, das zuzugeben. Das kann sie auch nicht, weil Vera da ist, und Vera beneidet dich. Vera könnte dich auch lieben, wenn ich ihr mehr Zärtlichkeit entgegenbringen würde. Ich werde es versuchen, werde wirklich versuchen, dieses Mädchen zu mögen, nur damit du mit keiner Feindin in deinem eigenen Heim zu leben hast.«
    Ich schluckte, fühlte, daß ich Halsschmerzen bekam, wie sich meine Augen mit Tränen füllten.

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