Das Netz im Dunkel
nie geben würde, ganz gleich, wieviel Geld wir ausgäben, um die Pracht erneuern zu lassen, oder wie viele Sofas und Sessel wir mit Chintz beziehen lassen würden.
Es gab hier keine Schatten, nur klares Wintersonnenlicht, das strahlend hell durchs Fenster fiel. Es gab keine Bleiglasfenster, die meine Augen verwirrten und mich verzauberten.
»Mammi«, rief Arden, »ich habe Audrina mitgebracht. Komm schon raus. Du kannst dein Geheimnis nicht ewig für dich behalten.«
Ich wirbelte herum, starrte ihn an, vergaß die toten Blätter in meiner Hand. Geheimnisse, Geheimnisse, alle schienen Geheimnisse zu haben. Ich bemerkte seine Angst, sah die nervösen Hände, die er in die Taschen stopfte, als er mich anschaute. Der Ausdruck seiner Augen verriet mir, daß ich bald einen Test zu bestehen haben würde. Großer Gott, betete ich, laß es mich richtig machen, was immer es auch sein mag.
»Ich komme gleich!« rief Billie aus einem anderen Raum. Sie hörte sich genauso besorgt an wie ihr Sohn. Ihre für gewöhnlich so herzliche Stimme hatte alle Wärme verloren. Ich fühlte mich plötzlich gar nicht mehr wohl, hätte mich am liebsten umgedreht und wäre gegangen. Aber ich zögerte, als ich sah, wie Arden die Augen zusammenkniff und mich genau beobachtete. Nein, diesmal wollte ich nicht davonlaufen. Ich würde bleiben und endlich wenigstens eines der Geheimnisse lüften.
Nervös schaute Arden zu einer Tür hinüber, von der ich annahm, daß sie in Billies Schlafzimmer führte. Er forderte mich nicht auf, Platz zu nehmen. Vielleicht hatte er sogar vergessen, daß ich noch einen dicken Wintermantel mit Kapuze trug, denn er ließ ihn mich nicht ausziehen. Er war viel zu sehr auf diese geschlossene Tür fixiert. Ich nahm die Kapuze ab, behielt aber den Mantel an, während ich wartete und wartete und immer noch wartete. Auch Arden hatte seinen Mantel nicht ausgezogen, als glaubte er, daß wir nicht lange bleiben würden.
Dann, als er den Kopf senkte und auf seine Schuhe starrte, bemerkte ich zum ersten Mal ein Holzregal, auf dem Dutzende von Goldmedaillen mit Daten und Namen standen. Ich trat näher, fühlte mich unwiderstehlich angezogen. Ach, herrje! Entzückt wirbelte ich herum und strahlte Arden glücklich an.
»Arden! Billie ist Eiskunstläuferin gewesen? Wie wundervoll! All diese olympischen Medaillen! Wie konnte sie etwas so Phantastisches für sich behalten? Warte nur, bis Papa davon hört.«
Was hatte ich jetzt schon wieder Falsches gesagt? Arden schien noch verlegener. Dabei war das doch fast so schön, als wäre Billie Elizabeth Taylor gewesen. Ich konnte sie direkt vor mir sehen, wie sie graziös übers Eis glitt, ineinem knappen, glitzernden Kostüm. Sie wirbelte herum, drehte sich und machte all das, was man Rittberger und so nennt, ohne daß ihr schwindlig geworden wäre. Und in der ganzen Zeit, die ich sie und Arden schon kannte, hatte sie nie damit geprahlt, ja, sie hatte es nie auch nur angedeutet. Billie redete immer mit mir, als wäre sie nichts Besonderes, und dabei war sie es.
Ein kleines Geräusch unterbrach meine Gedanken. Ich wirbelte herum und sah Billie. Sie mußte gewartet haben, bis ich ihr den Rücken zukehrte, war dann schnell ins Zimmer geeilt und hatte sich in einen Sessel gesetzt. Ich starrte sie an. Warum trug sie am hellichten Tag einen so weiten, langen Rock? Das Gewand sah sehr teuer aus, als hätte sie vor, einen offiziellen Galaabend zu besuchen.
Ihr prächtiges, pechschwarzes Haar hatte sie kunstvoll auf dem Kopf aufgetürmt, statt es wie sonst offen über den Rücken fallen zu lassen, und allein dadurch sah sie schon ganz anders aus. Ihr Gesicht war stark, ja übertrieben geschminkt. Ihre Wimpern waren länger und dichter, als ich es vorher bemerkt hatte. Und sie trug offenbar jedes einzelne Schmuckstück, das sie besaß. Ich lächelte schwach, wußte nicht, wie ich mich in einer solchen Situation verhalten sollte. Ohne all dieses Bühnen-Makeup war sie außerordentlich schön. Aber das Taftkleid und der schwere Modeschmuck ließen sie billig scheinen wie jemand, den ich überhaupt nicht kannte. Schlimmer noch: wie jemand, den ich nicht kennen wollte!
»Mammi«, sagte Arden und versuchte verzweifelt, das Lächeln auf seinen Lippen festzuhalten, »du hättest dir nicht so viele Umstände zu machen brauchen.«
Nein, Billie, das hättest du nicht. Du hast mir vorher viel besser gefallen.
»Doch–und du hättest mich warnen sollen, Arden. Dasweißt du auch.«
Ich schaute von
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