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Das Netz im Dunkel

Das Netz im Dunkel

Titel: Das Netz im Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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niemals herausfinden. Ich wollte, daß wir Freundinnen würden. Ich wollte, daß du mich wie ein normales menschliches Wesen behandelst, nicht wie einen Krüppel.«
    Ich war so verblüfft von alldem, daß mir ganz übel wurde. Ich starrte sie an, versuchte, nicht dorthin zu sehen, wo ihre Beine hätten sein müssen. Keine Beine? Aber wie bewegte sie sich dann? Ich wollte hinausrennen, wollte weinen. Denn hier war eine schöne, nette, wundervolle Frau, die Gott bestraft hatte, und noch jemand, den Papa nicht gutheißen würde.
    Unheimliche Stille erfüllte das kleine Zimmer, breitetesich im ganzen Haus aus; es war fast, als stände die Zeit still. Wir befanden uns alle an einem tiefen Abgrund, der Billie verschlucken und Arden und mich für alle Zeiten trennen würde. Was immer ich auch sagte oder tat, der Ausdruck auf meinem Gesicht in diesem Moment würde ihnen mehr verraten als alle Worte.
    Ich wußte nicht, was ich sagen oder tun sollte, nicht einmal, was ich denken sollte. Hilflos suchte ich nach den richtigen Worten…und dann dachte ich an meine Mutter. Angenommen, nur einmal angenommen, Mammi wäre ohne Beine aus dem Krankenhaus heimgekommen. Hätte ich da Abscheu empfunden? Hätte ich mich geschämt, wäre ich verlegen gewesen, wenn ich sie gesehen hätte? Nein, ich würde sie zurückhaben wollen, ganz gleich, wie. Ich würde alles tun, um Mammi zurückzubekommen, mit oder ohne Beine. Und da fand ich meine Stimme wieder.
    »Du bist die schönste Frau mit dunklem Haar, die ich je gesehen habe«, sagte ich ganz ernst. »Ich glaube, du bist überhaupt die schönste Frau, die ich kenne, aber meine Mutter war auch schön. Wenn ich meine Mutter nur wiederhaben könnte, mir wäre es egal, ob sie Beine hätte oder nicht–«
    Ich brach ab, errötete und bekam ein schlechtes Gewissen. Denn Mammi wäre es nicht egal gewesen. Sie wäre mit diesem Verlust nicht fertig geworden. Sie hätte geweint, sich versteckt und wahrscheinlich sterben wollen, weil sie keine Lust zu einem Leben ohne Beine hatte.
    Ich bewunderte Billie, die Ardens wegen lebte, aber auch ihretwegen, unter welchen Umständen auch immer. »Ich finde außerdem, daß du die netteste, großzügigste Frau bist, die ich jemals kennengelernt habe«, fuhr ich fort. »Ich bin mit meinen Problemen zu dir gekommen, habe sie dir aufgeladen, und du hast nie auch nur angedeutet, daß du eigene Probleme hast.«
    Beschämt und gedemütigt ließ ich wieder den Kopf hängen. Ich hatte Mitleid mit mir selbst, bloß weil mein Gedächtnis Lücken aufwies, durch die mir die Geheimnisse meines Lebens verlorengegangen waren.
    Jetzt, wo sie mir ein wenig erzählt hatte, wollte Billie mir auch alles erzählen.
    »Mein Mann hat mich verlassen, kurz nachdem ich vor etwas über zwei Jahren von der zweiten Amputation nach Hause zurückkehrte.«
    In ihrer Stimme lag keine Bitterkeit. »Mein Sohn sorgt für mich; das heißt, er hilft mir bei allem, was ich nicht selbst kann. Aber ich stelle mich schon ganz geschickt an, nicht wahr, Arden?«
    »Ja, Mammi, du bist wunderbar. Es gibt nur wenig, was du nicht selbst tun kannst.«
    Er lächelte mir zu, war so stolz auf seine Mutter.
    »Natürlich schickt mein ehemaliger Mann einmal im Monat einen Scheck«, fügte Billie hinzu.
    »Eines Tages wird Dad heimkommen, Mammi. Ich weiß es.«
    »Klar. In einem Jahr, das nur aus Sonntagen besteht.«
    Ich sprang auf, lief zu ihr und küßte ihre stark geschminkte Wange. Impulsiv zog ich sie dann an mich. Fast automatisch schlossen sich ihre kräftigen Arme um mich, als könnte sie jemandem, der sie liebte und bewunderte, einfach nicht widerstehen, wenngleich ihr Tränen über die Wangen liefen und die schwarze Maskara dicke Spuren in ihrem Gesicht hinterließ. »Es tut mir so leid, daß ich ohne Vorwarnung hier hereingeplatzt bin«, schluchzte ich. »Es tut mir leid, daß du deine Beine verloren hast, Billie. Aber wenn du noch immer eislaufen würdest–auch wenn das jetzt egoistisch klingt–,dannhätten wir uns nie kennengelernt. Das Schicksal hat euch beide zu mir geführt.«
    Ich lächelte und wischte mir die Tränen fort. »Papa sagt, das Schicksal wäre der Kapitän all unserer Schiffe, nur wüßten wir das nicht.«
    »Das ist eine feine Art, die Verantwortung von sich zu schieben. Aber jetzt lauf heim, Audrina, ehe dein Vater dich suchen kommt. Ich sehe dich bald wieder. Wenn du noch kommen willst.«
    »Oh, ich werde schon bald wiederkommen«, antwortete ich zuversichtlich.
    An diesem Tag

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