Das Netz im Dunkel
einem zum anderen, spürte, daß irgend etwas nicht in Ordnung war. Die Spannung zwischen Mutter und Sohn war so stark, daß ich zitterte. Ich spürte ihre Angst, weil ich im Haus war–wo sie mich nicht sehen wollte. Aber Arden sah mich so flehentlich an; seine Augen bettelten mich an, so zu tun, als merkte ich nicht, daß irgend etwas nicht stimmte. Also lächelte ich und trat zu Billie, schüttelte ihr die Hand. Ich setzte mich und fing mit einer albernen Unterhaltung an. Als sie noch am Fenster gesessen und ich draußen gestanden hatte, war es immer so leicht gewesen, mit ihr zu reden. Jetzt waren wir wie zwei Fremde, die sich zum erstenmal begegnen. Bald verabschiedete ich mich unter dem fadenscheinigen Vorwand, noch Tante Elsbeth helfen zu müssen.
»Bleibst du nicht zum Abendessen?« fragte Arden. Ich warf ihm einen kurzen, vorwurfsvollen Blick zu. Wenigstens zeigte Papa seine Feindseligkeit ganz offen und versteckte sie nicht hinter falscher Freundlichkeit, wie Billie es tat. Tränen traten mir in die Augen, als ich dachte, daß unsere Freundschaft nur für draußen gut genug war, nicht für drinnen. Es war genauso, wie Vera es gesagt hatte–ich war für Billie nicht gut genug. War ich denn so verrückt, daß die Leute mich nicht in ihrem Haus haben wollten? Wieder traf sich mein Blick mit Ardens–meiner anklagend, seiner noch immer um Verständnis flehend. Bitte, bitte, baten seine Augen. Ich beschloß, lange genug zu bleiben, um herauszufinden, was uns alle so verlegen machte.
Irgend etwas brutzelte im Ofen. Vielleicht unterbrach ich Billie beim Kochen, und das gefiel ihr nicht. Es gab nicht genug für drei Personen, und sie wollte eigentlich nicht, daß ich zum Essen blieb. Es war ein so kleines Haus, daß die Küche ein Teil des Wohnzimmers zu sein schien.
»Billie, ich glaube, da brennt etwas an. Soll ich es für dich vom Feuer nehmen?«
Sie wurde blaß, schüttelte den Kopf, gab Arden ein Zeichen, ehe sie mich anlächelte. »Nein, danke, Audrina. Arden kann das alles. Aber bitte, bleib doch und iß mit uns.«
Aber ihr besorgter Gesichtsausdruck, den sie nicht verschleiern konnte, strafte ihre Worte Lügen.
Verlegen und bekümmert ließ ich den Kopf hängen. »Danke für die Einladung. Aber mein Vater möchte nicht, daß ich durch den Wald gehe und hierher komme, wie du weißt.«
Arden warf erst mir, dann seiner Mutter einen Blick zu. »Mammi, das wird alles ein bißchen viel, kannst du es Audrina nicht erzählen?«
Billie wurde erst rot, dann blaß. Jetzt wollte ich es gar nicht mehr wissen. Ich wollte nur noch fort von hier. Ich stand auf.
Doch da platzte Billie los: »Also, warum nicht.«
Sie breitete ihre schlanken, mit kräftigen Muskeln versehenen Arme aus. »Audrina, mein liebes Mädchen, vor dir sitzt eine Frau, die einmal Olympiasiegerin im Eiskunstlauf gewesen ist. Dann wurde dieser Sport ihr Beruf. Das dauerte etwa achtzehn Jahre. Es war eine herrliche Zeit, ich habe jeden Augenblick, all die Aufregungen und Abenteuer geliebt. Arden kann dir Geschichten davon erzählen, wie wir aus dem Koffer gelebt haben. Wir reisten in der ganzen Welt herum, um die Leute zu unterhalten. Doch dann, eines schicksalhaften Tages, stürzte ich auf dem Eis, weil jemand eine Haarklammer verloren hatte. Ich hätte mir das Bein brechen können, aber ich trug nur einen tiefen Schnitt durch die Kufe eines Schlittschuhs davon. Dieser Schnitthätte innerhalb einer Woche oder so heilen müssen. Aber er heilte noch nicht einmal in sechs Monaten, und die Ärzte fanden heraus, daß ich an Diabetes litt. Kannst du dir vorstellen, daß mein Bein unter meinen Augen abstarb und daß die Ärzte nichts dagegen tun konnten? Während meiner ganzen Karriere war ich niemals bei einem Arzt gewesen. Wenn ich gewußt hätte, daß ich an so einer Krankheit litt, hätte ich das Eislaufen wohl schon viel früher aufgegeben. Aber so war es nun mal.«
»Ja, Mammi. Aber du hast ein schönes Leben im Licht gehabt, und ich bin froh darüber.«
Ardens Augen strahlten vor Stolz, als er sie anlächelte. »Ich kann noch jetzt meine Augen schließen und dich eislaufen sehen, dich, den Star der Show. Und ich war so stolz auf dich, so schrecklich stolz.«
Er machte eine Pause und sah wieder zu mir herüber. »Audrina, was meine Mutter dir sagen möchte und was ihr so schwer fällt, ist–«
»Ich habe keine Beine mehr–das ist es!« schrie Billie.
Ungläubig starrte ich sie an.
»Ja«, schrie sie, »ich hatte gehofft, du würdest es
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