Das Netz
essenzieller Wichtigkeit. Wenn eine Frau einen Mann heiratet, muss sie ihn in jeder Hinsicht respektieren und er sie auch. Kann man gegen diese Überzeugung ernsthaft etwas einwenden?«
»Theoretisch betrachtet sicherlich nicht«, sagte Tweed. »Und im Allgemeinen stimme ich Ihnen auch zu, aber es sind nun einmal nicht alle Menschen so stark, dass sie gegen jegliche Versuchung gefeit sind. Man sollte...«
»Genau darum geht es doch!«, schrie Margesson erregt. Er riss die Arme in die Höhe, wobei die weiten Ärmel seines Gewands nach unten glitten. »Wir müssen der Versuchung des Fleisches widerstehen. Selbstdisziplin ist das A und O einer in sich gefestigten Gesellschaft, und nur eine solche Gesellschaft wird überleben. Die unsere ist dem Untergang geweiht. Sie wird im Strudel ihrer ungezügelten Maßlosigkeit untergehen, und weder Amerikas Flugzeugträger noch alle seine Atombomben werden sie oder den Westen retten können.«
»Wie gesagt, in gewissen Punkten stimme ich mit Ihnen überein«, sagte Tweed und erhob sich, »die meisten Ihrer Ansichten aber lehne ich ab. Und jetzt müssen wir gehen.«
»Ich kann Ihnen nur raten: Denken Sie über das, was ich gesagt habe, gründlich nach.«
Tweed erwiderte nichts mehr und ging, gefolgt von Paula, zur Tür. Von draußen schlug ihnen ein Schwall eiskalter Luft entgegen. Auf der Türschwelle drehte sich Tweed noch einmal um.
»Haben Sie vielen Dank für Ihre Gastfreundschaft, Mr Margesson«, sagte er höflich. »Jeder hat das Recht auf seine Meinung, solange er sie anderen nicht mit Gewalt aufzwingen will.«
Margesson verbeugte sich tief und zupfte an seinem schwarzen Bart, was er auch während der Unterredung zuvor des Öfteren getan hatte.
»Für einen Norweger hatte er eine ganz schön dunkle Gesichtsfarbe«, bemerkte Paula, nachdem Margesson die Tür geschlossen hatte.
Auf dem Rückweg begegnete ihnen niemand, und Tweed war erleichtert, als er das Auto sah, in dem Buchanan saß und auf sie wartete. Eine dichte Nebelbank trieb aus dem Wald auf den See zu und hatte bereits die ersten Häuser von Carpford erreicht.
»Tut mir Leid, dass es so lange gedauert hat, Roy«, sagte Tweed. »Aber die Befragungen haben sich dann doch etwas hingezogen.«
»Kein Problem. Ich kenne das. Trotzdem bin ich froh, dass Sie wieder hier sind. In dem Nebel hätten Sie locker vom Weg abkommen und im See landen können.«
»Wie tief ist er eigentlich?«
»Mindestens zehn Meter. Wen haben Sie denn vernommen?«
Tweed setzte sich auf die Rückbank von Buchanans Saab und berichtete dem Superintendent von den beiden Gesprächen, während Paula draußen blieb und über ihr Handy Newman anrief. Buchanan hatte den Motor laufen lassen, sodass es im Inneren des Wagens angenehm warm war.
»Mich hat Margesson nicht mal in sein Haus gelassen«, sagte Buchanan, als Tweed geendet hatte. »Dabei wusste ich ganz genau, dass er da war. Das mit seinem Fanatismus gefällt mir gar nicht...«
Paula, die gerade eingestiegen war und sich neben Tweed gesetzt hatte, zog ihre Handschuhe aus und genoss sichtlich die Wärme.
»Wie schön, dass Sie den Wagen warm gehalten haben, Roy«, sagte sie. »Sie sind wirklich ein Schatz. Es gibt übrigens Neuigkeiten aus der Park Crescent. Newman will, dass wir bis spätestens halb zwölf zurück sind, um uns mit jemandem zu treffen. Mit wem, wollte er mir am Handy nicht verraten.«
Buchanan fuhr los.
»Ich habe einen Bärenhunger«, gestand Paula nach einer Weile. »Kein Wunder, ich habe schließlich nichts zu Mittag gegessen.«
»Dann machen wir am besten in Foxford Zwischenstation«, sagte Buchanan. »Ich kenne dort ein hervorragendes Hotel, das Peacock, wo wir bestimmt noch etwas zum Abendessen bekommen. Und keine Bange, ich werde Sie schon rechtzeitig zu Ihrer Verabredung mit Newman zurück nach London fahren.«
»Ich mag diesen Margesson nicht«, sagte Paula. »Fanatischen Sittenwächtern wie ihm traue ich nicht über den Weg.«
»Ich auch nicht«, sagte Tweed.
Unten im Tal angekommen, bog Buchanan nach links auf die schmale Straße nach Foxford ab. Im Gegensatz zu Carpford kam Paula die am Grund einer tiefen Schlucht gelegene Ortschaft mit ihren alten Backsteinhäusern und hell erleuchteten Straßen richtig gemütlich vor. Buchanan bog in eine steile Auffahrt ab, die zu einem am Hang gelegenen Gasthaus führte.
»Das ist das Peacock«, sagte er, während er den Wagen unmittelbar vor einem großen, mit Bleiglasscheiben versehenen Fenster
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