Das Netz
sich. Trotzdem kam ihr jede Minute wie eine halbe Ewigkeit vor.
»Vielleicht hat Eddie es sich ja anders überlegt«, sagte sie, weil ihr die angespannte Stille unangenehm war. Sie mochte es nicht, dass Marler dort draußen auf den verlassenen Straßen allein unterwegs war.
»So lange ist Marler nun auch wieder nicht weg«, antwortete Tweed ruhig.
»Ich mache mir trotzdem Sorgen um ihn.«
»Marler ist einer unserer besten Leute, Paula, das wissen Sie doch.«
»Ich finde, dass Paula Recht hat«, mischte sich Newman ein. »Besonders Vertrauen erweckend ist die Gegend hier ja nun wirklich nicht.«
»Die Gegend ist mir egal«, sagte Paula. »Aber Marler ist schon viel zu lange weg. Wir sollten wirklich mal nachsehen.«
»Sie rühren sich nicht von der Stelle«, wies Tweed sie an.
»Da kommt er ja!«, sagte Newman erleichtert. »Wahrscheinlich musste er Eddie erst davon überzeugen, dass Tweed tatsächlich gekommen ist. Aber wieso rennt er denn so?«
Als Marler an Newmans Wagen angelangt war, riss er die Beifahrertür auf. »Schlimme Sache«, sagte er mit ungewohnt ernster Stimme. »Eddie liegt tot in der Monk’s Alley. Kein schöner Anblick. Paula, Sie warten hier und verriegeln alle Türen.«
»Das werde ich bestimmt nicht tun«, entgegnete Paula und stieg als Erste aus. Marler eilte voran in die schmale Gasse, in der er zuvor verschwunden war. An einer Häuserwand sah Paula ein altes Schild mit den Worten Monk’s Alley und dem Bild eines Mönchs. Marler schaltete seine Taschenlampe ein.
Der Tote lag mit dem Rücken auf dem buckligen Kopfsteinpflaster und glotzte mit weit aufgerissenen Augen hinauf in den Nachthimmel. Er hatte den rechten Arm weit von sich gestreckt und die Finger der rechten Hand zur Faust geballt. Das Blut lief in breiten Strömen über das Pflaster.
»Das müssen über zwanzig Messerstiche sein«, sagte Marler. »Wahrscheinlich hat der Mörder noch auf Eddie eingestochen, als der schon tot am Boden lag. Danach hat er ihn von Kopf bis Fuß gefilzt. Ich habe ihn gründlich untersucht und nichts gefunden, woran man ihn hätte identifizieren können.«
»Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich selbst noch mal nachsehe?«, sagte Tweed. »Würden Sie mir bitte leuchten?«
»Wenn Sie wollen«, brummte Marler etwas ungehalten.
Tweed ging in die Hocke und betrachtete Eddie längere Zeit mit prüfendem Blick. Dann zog er sich ein Paar Latexhandschuhe über und öffnete vorsichtig die geballte Faust der Leiche. In der Handfläche fand Tweed ein zerknülltes Stück Papier, das er vorsichtig in einen von Paula bereitgehaltenen durchsichtigen Asservatenbeutel steckte. Dann rollte er den Toten auf die Seite und zog unter seinem Rücken einen dunklen Stofffetzen hervor.
»Das ist ja ein Turban!«, rief Newman aus.
Paula nahm ihr Handy aus der Manteltasche und sah Tweed fragend an.
»In Ordnung, verständigen Sie Buchanan ruhig«, sagte er. »Aber erzählen Sie ihm nichts von dem Zettel...«
Kurz nach ein Uhr morgens kamen sie zurück ins Büro.
Marler lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und zündete sich eine Zigarette an.
»Eddie war mein bester Informant«, sagte er mit mühsam beherrschter Stimme. »Er hatte überallhin Kontakte - sogar bis nach Italien. Nach Mailand, wenn ich mich nicht irre. Ein solches Ende hat er wirklich nicht verdient.«
»Ich könnte mir vorstellen, dass hier in London sehr bald die Hölle los sein wird«, sagte Tweed leise und ließ sich von Paula den Asservatenbeutel reichen.
Nachdem er sich ein frisches Paar Latexhandschuhe übergestreift hatte, nahm er das fest zusammengeknüllte Stück Papier heraus, faltete es vorsichtig auseinander und strich es dann auf dem Schreibtisch glatt.
»Keine Ahnung, was das soll«, sagte er nur.
»Scheint eine Art Symbol zu sein«, meinte Paula und deutete auf das Stück Papier. »Aber was für eines?«
»Wirklich keine Ahnung«, sagte Tweed. »Aber für Eddie war es offenbar so wichtig, dass er selbst im Tod nicht loslassen wollte. Wenn ich nur wüsste, was es bedeuten soll.« Angestrengt starrte er auf das Symbol, das Eddie auf das Stück Papier gezeichnet hatte.
5
Als Tweed am nächsten Morgen um acht Uhr in sein Büro kam, war er erstaunt, dass dort bereits alle seine Mitarbeiter auf ihn warteten. Newman rekelte sich entspannt in einem Sessel, Marler lehnte wie üblich mit dem Rücken an der Wand, und Paula saß an ihrem Schreibtisch in der Ecke des Raumes. Außerdem waren noch Pete Nield und Harry Butler da.
Die
Weitere Kostenlose Bücher