Das Netz
böses Erwachen geben würde. Sie zeigte auf die Häuser in Flussnähe.
»Sind die Bewohner denn schon evakuiert worden?«
»Ja«, antwortete Tweed. »Einige haben sich zwar beschwert, aber als Buchanans Leute ihnen von der Gefahr einer gigantischen Gasexplosion erzählten, sind alle freiwillig ins Hotel gezogen.«
Paula musste an den teuflischen Plan der Terroristen denken. Wenn es ihnen gelänge, alle Brücken in die Luft zu jagen, wäre die Innenstadt von London auf Jahre hinaus in zwei Hälften zerschnitten. Als hätte er ihre trüben Gedanken gelesen, beugte sich Beaurain von der Rückbank nach vorn und legte ihr die Hand auf die Schulter.
»Machen Sie sich keine Sorgen, Paula. Wir werden diese Mistkerle schon aufhalten.«
45
Die Sonne schien aus einem strahlend blauen Himmel, als Olaf Margesson am Steuer eines Geländewagens, den er in einem Schuppen hinter seinem Haus versteckt gehalten hatte, die Ortsgrenze von Carpford hinter sich ließ. Weil seine langen Gewänder nur schlecht zum Autofahren geeignet waren, trug er einen grauen Anzug.
Margesson war ein guter Fahrer und nahm geschickt die vielen Kurven auf der Strecke, die aus den Downs zur A 3 führte. Unter seiner Anzugsjacke trug er ein Schulterhalfter mit einer geladenen Pistole, die seiner Meinung nach für ein Überleben im Dschungel dieser verderbten Welt unabdingbar war.
»Allah ist mächtig! Allah wird mich beschützen!«, rief er laut aus, während er durch den völlig verlassenen Hohlweg unterhalb von Carpford brauste, ohne auch nur einen Gedanken darauf zu verschwenden, dass ihm ein anderes Fahrzeug entgegenkommen könnte.
Als Peregrine Palfry, der wie immer makellos elegant gekleidet war, sich zu Fuß dem Sicherheitsministerium näherte, wunderte er sich, warum er überhaupt keine Autos und so gut wie keine Menschen sah. Whitehall wirkte wie ausgestorben, und außer den Polizisten, die das Regierungsviertel bewachten und ihn sogar nach seinem Ausweis fragten, war keine Menschenseele auf der Straße.
Palfry sah auf die Uhr. Jetzt kam es auf das richtige Timing an. Mit raschen Schritten eilte er die Stufen zum Ministerium hinauf, wo er zu seinem großen Erstaunen nicht von dem gewohnten Wachmann begrüßt wurde, sondern von einem ihm völlig unbekannten Polizisten, der höflich, aber bestimmt seinen Ausweis sehen wollte.
»Sie wissen wohl nicht, wen Sie vor sich haben?«, herrschte Palfry den Polizisten an, der daraufhin aber nur ungerührt die Achseln zuckte.
»In Ausnahmesituationen wie dieser spielt das keine Rolle mehr, Sir.«
»Was geht hier eigentlich vor, zum Kuckuck noch mal?«, fragte Palfry sichtlich genervt.
»Eine große Gasleitung ist geplatzt, Sir. Wir mussten die halbe Innenstadt sperren.«
Palfry rannte zu Victor Warners Büro, aber erst als er dort war, fiel ihm ein, dass sich der Minister ja gerade in einer Kabinettssitzung befand. Wie konnte er bloß herausfinden, was wirklich los war?
Drew Franklin, der einen weißen Rollkragenpullover und eierschalenfarbene Hosen mit messerscharfen Bügelfalten trug, verließ in kerzengerader Haltung sein kleines Zimmer in der Redaktion der Daily Nation und marschierte schnurstracks, ohne anzuklopfen, ins Büro des Chefredakteurs.
Der Chefredakteur blickte irritiert auf. Als er seinen unangemeldeten Besucher erkannte, setzte er jedoch ein verbindliches Lächeln auf. Franklin, der mit seiner Kolumne der Zeitung bisher ungekannte Auflagenzahlen bescherte, war empfindlich wie eine Mimose und musste ständig mit Samthandschuhen angefasst werden, damit er nicht zu einem Konkurrenzblatt abwanderte. Gerade als der Chefredakteur sein bestes Pferd im Stall freundlich willkommen heißen wollte, raunzte Franklin ihn in herrischem Ton an:
»Halten Sie mir für morgen die Seite eins frei, dann kriegen Sie die Story des Jahres geliefert. Ach ja, und Sie können gleich mal die doppelte Auflage drucken lassen - ich garantiere Ihnen, morgen reißen uns die Leute die Zeitungen nur so aus der Hand.«
Ohne eine Antwort des Chefredakteurs abzuwarten, machte Franklin auf dem Absatz kehrt und verließ das Büro wieder. Der Chefredakteur rieb sich verwundert die Augen, rief dann aber sofort in der Herstellungsabteilung an, um das Nötige zu veranlassen. Drew Franklins Wünsche waren ihm Befehl.
Die Kabinettssitzung näherte sich ihrem Ende, und Victor Warner war höchst zufrieden mit ihrem Ausgang. Gerade hatten sämtliche Minister einem Memorandum zugestimmt, das der Premierminister
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