Das Netz
höchstpersönlich auf Warners Drängen hin verfasst hatte. Eine Kopie des Memorandums war bereits per Motorradkurier unterwegs in die Park Crescent, und Warner hätte viel dafür gegeben, Tweeds erstauntes Gesicht sehen zu dürfen, wenn dieser den Umschlag öffnete und dessen Inhalt las.
»Warum schauen Sie denn andauernd auf die Uhr?«, fragte Mrs Carson, die gerade die Bücherregale in Victor Warners Arbeitszimmer in Belgravia abstaubte und hin und wieder einen Blick hinüber auf Eva Brand warf, die an ihrem Schreibtisch saß und immer nervöser zu werden schien.
»Das fragen Sie mich jetzt schon zum dritten Mal, Mrs Carson«, fauchte Eva. »Wie wäre es, wenn Sie zur Abwechslung mal eine neue Platte auflegen würden? Und überhaupt: Wenn Sie all diese Papiere bis zu einem bestimmten Termin durcharbeiten müssten, würden selbst Sie hin und wieder auf die Uhr schauen.«
»Aber nicht jede zweite Minute. Das macht mich noch wahnsinnig.«
»Wissen Sie, was mich wahnsinnig macht, Mrs Carson? Dass Sie hier schon seit einer halben Stunde mit dem Staubwedel herumfuchteln. Sie wissen genau, dass der Minister für morgen ein Treffen in Carpford anberaumt hat und dass ich dafür noch viele Vorbereitungen treffen muss. Deshalb würde ich Sie bitten, mich jetzt allein zu lassen, damit ich mich in Ruhe auf meine Arbeit konzentrieren kann. Sie haben in diesem Zimmer ohne die ausdrückliche Erlaubnis des Ministers sowieso nichts zu suchen.«
»Aber ich bin die Haushälterin«, protestierte Mrs Carson. »Als solche gehört es zu meinen Pflichten, hier abzustauben.«
»Gehen Sie Ihren Pflichten gefälligst in der Küche nach oder von mir aus auch auf der Toilette, aber hier im Arbeitszimmer möchte ich Sie ab sofort nicht mehr sehen. Machen Sie die Tür von außen zu. Und zwar leise, wenn ich bitten darf.«
»Ich werde mich...«
»Beim Minister beschweren, ich weiß. Tun Sie das, aber lassen Sie mich jetzt endlich in Ruhe. Raus! «
An diesem entscheidenden Punkt in ihrem Leben hatte Eva nun wirklich keine Zeit für begriffsstutzige Hausangestellte. Und kaum hatte Mrs Carson die Tür betont leise geschlossen, sah sie bereits ein weiteres Mal auf ihre Uhr.
Die Nachricht schlug wie eine Bombe ein. Tweed war gerade mit Paula, Beaurain und Eva in sein Büro zurückgekehrt, als Howard mit einem betretenen Ausdruck auf dem Gesicht und einem Blatt Papier in der Hand hereinkam. Paula hatte den Direktor des SIS noch nie so verlegen gesehen.
»Bitte entschuldigen Sie, wenn ich störe«, sagte Howard, »aber das hier muss ich Ihnen sofort zeigen, Tweed. Es sieht so aus, als hätte der Premier die Sondervollmachten, die er Ihnen neulich erteilt hat, im Nachhinein wieder eingeschränkt. Dieser Schrieb hier wurde uns gerade per Kurier aus Whitehall überbracht.«
Nicht sonderlich beeindruckt, streckte Tweed die Hand nach dem Dokument aus. Howard gab es ihm. Nachdem Tweed es kurz überflogen hatte, las er laut vor:
Ab sofort werden der SIS und das Sicherheitsministerium eng zusammenarbeiten. Soweit Mr Tweed es für angemessen hält, werden sich er und Minister Warner von nun an gegenseitig vollen Einblick in ihre jeweiligen Pläne gewähren sowie künftige Entscheidungen gemeinsam treffen.
Unterzeichnet war das Schreiben vom Premierminister persönlich und ging laut Verteiler an den Innenminister, den stellvertretenden Commissioner von Scotland Yard und Superintendent Buchanan.
»Wenn Warner jetzt bei jeder Entscheidung mitreden darf, gibt das eine Katastrophe«, platzte es aus Newman heraus.
»Dazu wird es nicht kommen«, sagte Tweed.
»Wieso nicht?«, fragte Howard.
»Sehen Sie sich doch mal den Verteiler an. Da bin ich nicht einmal aufgeführt. Dieses Blatt hier ist nichts weiter als eine Fotokopie, die mir ohne Zweifel Victor Warner hat zukommen lassen. Der Premierminister wollte mit dem Memorandum nur Warners verletzte Eitelkeit befriedigen. An meinem Status als Koordinator ändert das überhaupt nichts.«
»Da bin ich aber froh«, sagte Howard. »Eigentlich hätte mir das ja auch auffallen können.«
Das Telefon klingelte, und Monica ging ran.
»Victor Warner möchte Sie sprechen, Tweed.«
Tweed drückte auf den Knopf der Freisprechanlage, damit alle im Raum hören konnten, was Warner zu sagen hatte. Außerdem schnitt er das Gespräch auf Tonband mit.
»Was gibt es, Herr Minister?«
»Sind Sie es, Tweed?«, fragte Warner in überheblichem Ton. »Fast hätte ich Sie nicht erkannt. Ihre Stimme klingt
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