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Das Netzwerk

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Titel: Das Netzwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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doch.»
    «Nein, eben nicht. Zumindest muss es nicht so laufen.»
    «Woher willst du das denn wissen?», fragte Anna. Etwas Gemeineres hätte sie kaum zu Margaret sagen können, und sie bereute es im selben Moment, als sie es aussprach.
    Die Ältere strich sich eine weitere unsichtbare Strähne aus der Stirn. «Meine liebe Anna», sagte sie. «Ich werde dir jetzt einen letzten Rat geben, und ich hoffe sehr, dass du ihn beherzigen wirst.»
    «Entschuldige bitte. Ich höre.»
    «Du musst das Spiel keineswegs so spielen wie die Männer. Die reden immer davon, den Laden aufzumischen, Informationen aus den Leuten rauszuprügeln, ihnen Feuer unterm Hintern zu machen, abgebrühte Mistkerle zu sein und so weiter und so fort. Vermutlich gibt ihnen dieses Angebergerede irgendwie Sicherheit. Aber so kann man es in unserer Branche nicht machen. Es sei denn, man ist ein verkappter Nazi.»
    Anna musterte Margaret skeptisch. «Und was macht man, wenn man kein verkappter Nazi ist?»
    «Man geht sanft vor. Mit Streicheleinheiten entlockt man Menschen sehr viel mehr als mit Drohungen. Sprich mit ihnen, schmeichle ihnen, hör dir ihre langweiligen Geschichten an. Und lass sie von Zeit zu Zeit glauben, du wolltest sie verführen.»
    «Mit anderen Worten: Verhalte dich wie eine Frau.» Anna versah das Wort «Frau» mit einem verächtlichen Unterton, doch Margaret achtete gar nicht darauf.
    «Ganz genau. Hab keine Angst davor, sanft vorzugehen. All dieses Stammtischgerede ist doch albern. Und meistens funktioniert es ohnehin nicht.»
    «Ich werde darüber nachdenken.»
    Margaret lächelte. «So, jetzt weißt du alles, was ich auch weiß.» Sie gab Anna die Hand, drückte sie fest und küsste ihren jungen Schützling dann auf die Wange.
    «Nein, nicht alles», sagte Anna.
    «Was habe ich denn ausgelassen?»
    «Du hast mir erzählt, wie das Spiel läuft, aber nicht, was wir damit erreichen wollen. Und du hast mir immer noch nicht erzählt, wie du eigentlich zu dieser Arbeit gekommen bist.»
    «Das verschieben wir besser auf einen anderen Abend.»
    «Ich reise morgen ab.»
    «Sagen wir einfach, ich bin wie Edward Stone. Wir gehörenderselben Generation an. Wir haben im selben Krieg gekämpft, dieselben Lektionen gelernt.»
    «Nun sag schon! Was sind das für Lektionen?»
    «Wir haben gelernt, Menschen zu manipulieren. Und wir haben gelernt, das zu genießen.»
    Anna nickte wissend, obwohl sie im Grunde nichts begriff. «Auf London!», sagte sie und hob ein letztes Mal ihr Weinglas. Hätte sie einen Doktorhut getragen, sie hätte ihn mit Sicherheit in die Luft geworfen.
     
    3  Edward Stones letzter großer Kreuzzug begann in jenem Januar in der Stadt Samarkand in der sowjetischen Republik Usbekistan. Natürlich war Stone nicht persönlich vor Ort. Er befand sich am anderen Ende der Welt, in einem Büro in Langley, mehrere Stockwerke und mindestens eine Generation von den Frischlingen entfernt, die sich der Illusion hingaben, den amerikanischen Geheimdienst zu leiten. Doch im Geiste war er durchaus in Samarkand, und einen Stellvertreter hatte er dort auch. Denn eines besaß Edward Stone nach einem langen Berufsleben im Agentenmilieu wahrhaftig im Überfluss: die freundschaftliche Unterstützung von Angehörigen anderer Geheimdienste, die im Branchenjargon als «Verbindungsleute» bezeichnet wurden.
    Stone konnte aus einem über fünfunddreißig Jahre angehäuften Fundus von Kontaktpersonen schöpfen, in dem sich Briten, Franzosen, Deutsche, Libanesen, Saudis, Iraner, Pakistani und Afghanen fanden. In manchen Ländern hatte er den dortigen Geheimdienst sogar mehr oder weniger mit aufgebaut, und die so entstandenen Loyalitäten gingen über bloße Agentenfreundschaftenhinaus: Sie bildeten ein Netz aus gegenseitigen Verpflichtungen, das haltbar, allgegenwärtig und zugleich äußerst unauffällig war. Der Aufbau solcher Verbindungen gehörte zu den Aktivitäten des amerikanischen Geheimdiensts, die neugierigen Blicken fast immer verborgen blieben: Man brauchte vor dem Kongress keine Rechenschaft darüber abzulegen und musste meistens nicht einmal dem Weißen Haus darüber berichten. Das verschaffte Stone und seinen ausländischen Freunden eine Menge Spielraum, selbst in der verhätschelten Welt des Jahres 1979, selbst in den staubigen Straßen und Gässchen von Samarkand.
     
    An dem bewussten Januarmorgen erhob sich die Sonne über dem Gur Emir, dem Mausoleum des großen Emirs Timur, und tauchte die blaue Kuppel dieser großen

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