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bei Anna die Fähigkeit zum selbständigen Arbeiten erkannt, die jeder gute Wissenschaftler braucht, gepaart mit einem Idealismus und einer Handlungsbereitschaft, die sich hervorragend in den Dienst der Central Intelligence Agency stellen ließen.
Anna hob ihre Martini-Glas. «Auf die Frauen in der Branche!», rief sie und nahm einen großen Schluck. Doch die draufgängerische Geste konnte die Sorge in ihrer Stimme nicht ganz überspielen.
«Nicht so laut», mahnte Margaret, hob aber ebenfalls ihr Glas.
«Das sollte ich jetzt wohl nicht sagen – aber ich bin schon ein bisschen nervös.»
«Natürlich», erwiderte Margaret. «Ich würde mir Sorgen machen, wenn es anders wäre.»
«Mal ganz ehrlich», sagte Anna. «Kann eine Frau in diesem Beruf wirklich genauso gut sein wie ein Mann?»
«Aber sicher», sagte Margaret. «Ich bin doch der lebende Beweis dafür.»
Anna lächelte. Inzwischen wusste sie genug, um zu begreifen, wo Margarets Erfahrungen und Fähigkeiten ihre Grenzen hatten. Margaret war eine Vorreiterin, das stand außer Frage, doch sie hatte die meiste Zeit im Hauptquartier gearbeitet, in der Verwaltung. Die Agenten, die sie rekrutiert hatte, waren fast alle amerikanische Professoren oder Geschäftsleute, nette, harmlose, patriotische Menschen, die hin und wieder zu Konferenzen in den Ostblock reisten. Und als man Margaret schließlich die Leitung eines Stützpunkts im Ausland übertragen hatte, handelte es sich um ein kleines, unbedeutendes westeuropäisches Land, in dem die größte Bedrohung der nationalen Sicherheit darin bestand, dass jemand das Geheimrezept einer Käsesorte verraten könnte.
«Ich hätte gern jemanden, der mich ein bisschen an der Hand nimmt», sagte Anna.
Margaret griff nach ihrer Hand.
«So wörtlich hatte ich das jetzt nicht gemeint», kommentierte Anna, zog ihre Hand aber trotzdem nicht gleich weg.
«Du darfst nie vergessen, dass wir Frauen in dieser Branche ein paar ganz große Vorteile haben», sagte die Ältere zu ihr.
«Nenn mir einen.»
«Ich werde dir gleich mehrere nennen. Wir haben unsere Gefühle besser im Griff als Männer. Wir sind mutiger, disziplinierter, diskreter. Und wir können uns unsichtbar machen, wo ein Mann gleich verdächtig wirken würde.»
«Wie kann man sich denn als Frau unsichtbar machen?»
«Das Alltägliche ist immer unsichtbar. Und es gibt nichts Alltäglicheres auf der Welt als eine Frau, die sich mit einem Mann trifft. Deshalb kann eine Amerikanerin selbst in Moskau miteinem Einheimischen essen gehen, ohne dass sie Verdacht erregen würde. Die Leute sehen, wie die beiden etwas miteinander trinken und sich unterhalten, und glauben genau zu wissen, was los ist.»
Anna sah sich im Restaurant um. An fast allen Tischen saßen Paare, die sich unterhielten. Margaret hatte recht. Es gab keine bessere Tarnung.
«Einen ganz großen Nachteil hat man allerdings als Frau», sagte Margaret.
«Und der wäre?»
«Man hat ständig mit Männern zu tun.»
Anna musste lachen.
«Es gehört nun einmal zu den traurigen Tatsachen im Leben», fuhr Margaret fort, «dass die Geheimnisträger fast immer Männer sind. Und es ist eine weitere traurige Tatsache, dass die meisten Männer Frauen nicht als ebenbürtig betrachten. Daraus folgt, dass sie uns nicht vertrauen und sich entsprechend äußerst unwohl damit fühlen, ihr Leben in die Hände einer Frau zu legen.»
«Da baggern sie schon lieber.»
«Wie bitte?»
«Das sagt man jetzt so. Wenn ein Mann eine Frau anbaggert, heißt das, dass er mit ihr ins Bett will.»
«Genau das meine ich», sagte Margaret. «Und das ist ein großes Problem bei unserer Arbeit, denn gerade in der Anfangsphase ist man naturgemäß allein mit einem Mann, den man als externen Agenten rekrutieren will. Man hat ihm noch nicht erzählt, was man mit ihm vorhat, und für ihn gibt es ohnehin nur zwei Erklärungsmöglichkeiten für unser Interesse an ihm. Entweder wir wollen mit ihm ins Bett …»
«Oder wir sind beim Geheimdienst.»
Margaret nickte. «Und in beiden Fällen gibt es Probleme. Darum wäre es für dich beruflich auch besser, wenn du weniger hübsch wärst. Versteh mich nicht falsch, ich will dich wahrhaftig nicht überreden, zum Wohl des Geheimdiensts zwanzig Kilo zuzunehmen. Aber es wäre von Vorteil.»
«Du bist doch auch nicht dick», sagte Anna.
«Nein, aber alt.»
Die Austern wurden serviert. Anna nahm sich eine vom Teller, führte sie an die Lippen, neigte die Schale und ließ die Auster sanft in den
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