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Das Netzwerk

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Titel: Das Netzwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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ich entsorge inzwischen das Frühstücksgeschirr.»
    Hoffman griff sich das Tablett, zerdepperte dabei eine Kaffeetasse und ging zur Tür. Er stellte alles draußen auf den Flur, dann kam er zurück. Doch Anna musste auch gar nicht lange nachdenken. Sie war sich sicher, dass Hoffman mit seiner ungezügelten Energie und seinem groben, raubeinigen, desillusionierten Zorn wie geschaffen war für das merkwürdige kleine Unternehmen mit Hauptsitz in Karpetland. Es lief neben der offiziellen Spur, genau wie Hoffman.
    «Und, wie lautet das Urteil?»
    «Hätten Sie gern einen Job, Frank?»
    «Ich glaube, ich hab mich gerade verliebt.»
     
    27  Es traf sich gut, dass Hoffman noch am selben Nachmittag zu einem Geschäftstermin nach Dubai aufbrechen musste: Das nahm ihm jede Möglichkeit, irgendetwas anzustellen, was Anna dazu gebracht hätte, ihren Entschluss noch einmal zu überdenken. Ihr selbst bescherte der rasche Abschluss ihrer Athener Verpflichtung einen freien Tag, weil ihr Flug erst für den nächsten Morgen gebucht war. Erst hatte sie vor, sich einfach am Hotelpool in die Sonne zu legen, doch nach einem kurzen Rundgang zwischen den Badehäuschen hatte sie bereits genug Männer in zu engen Badehosen und Frauen in zu knappen Bikinioberteilen gesehen, um zu beschließen, dass der Pool doch nicht ganz nach ihrem Geschmack war.
    Bibliotheken dagegen waren immer nach ihrem Geschmack, und so brach sie nach einem Blick auf den Stadtplan vom Hotel zur Nationalbibliothek auf, die schon bei früheren Aufenthalten in Athen immer auf ihrer Liste gestanden hatte, ohne dass sie je dorthin gekommen wäre. Nun gelangte sie über den Syntagma-Platz mit seiner touristischen Mischung aus Fluglinienbüros und halbseidenen Revuetheatern zum Omonia-Platz.
    Die Bibliothek war ein gewaltiger neoklassizistischer Bau gleich hinter Universität und Akademie. Am Eingang erkundigte sich ein kleiner, uniformierter Mann, wohin Anna denn wolle. Ohne lange nachzudenken, sagte sie: «Zur Osmanischen Sammlung.» Inzwischen hatte sie sich so weit von den Belastungen des Promotionsstudiums erholt, dass die Osmanische Sammlungsie auch tatsächlich interessierte. Andere Leute sammelten antike Münzen oder widmeten sich der Bestimmung seltener Käferarten, und Annas abwegiges Spezialgebiet war eben die türkische Geschichte des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts. Der Aufseher am Eingang verwies sie an einen zweiten Aufseher ein Stockwerk höher, am Ende eines langen Flures, der sie seinerseits in ein riesiges, dämmriges, gewölbeartiges Büro führte. Dort hockte ein Mann, dem man den Bücherwurm an der Nasenspitze ansah und der sich als Kurator der Osmanischen Sammlung entpuppte. Er hieß Jannos.
    «Was suchen Sie denn genau?», fragte er Anna mit skeptischem Blick.
    «Ich möchte mich einfach nur umschauen.»
    «Dies ist keine Sammlung, in der man sich einfach umschaut, Madame. Sie benötigen bereits ein umfangreiches Hintergrundwissen, um sich überhaupt darüber klar zu werden, was Sie eigentlich suchen.»
    Anna entschloss sich zu einer kleinen Lüge. «Ich promoviere in Harvard über osmanische Geschichte.» Im Grunde war es ja gar keine Lüge, nur eine Tempusverschiebung.
    «Verstehe.» Der Kurator blieb misstrauisch. «Und wie lautet das Thema Ihrer Dissertation?»
    «Administrative Praktiken im spätosmanischen Reich, unter besonderer Berücksichtigung des Umgangs mit ethnischen Konflikten.»
    «Verstehe», wiederholte der Kurator, der nun doch überzeugt wirkte, dass Anna mit einer gewissen Berechtigung hier war.
    «Wie umfangreich ist denn Ihre Sammlung?»
    «Sehr umfangreich, Madame.»
    «Und gab es in letzter Zeit irgendwelche Neuerwerbungen?», fragte Anna der Vollständigkeit halber.
    «Nein», antwortete der Kurator. «Bis auf die Unterlagen aus Albanien, die uns leihweise überlassen wurden.»
    Anna traute ihren Ohren nicht. «Verzeihung», fragte sie. «Sagten Sie gerade ‹Unterlagen aus Albanien›?»
    «Ja, Madame. Aus der Bibliothèque Nationale in Tirana.»
    «Ist nicht Ihr Ernst!»
    Er war merklich gekränkt. «Ich versichere Ihnen, es ist mein voller Ernst. Weshalb überrascht Sie das denn so? Wir tauschen regelmäßig Materialien mit anderen Nationalbibliotheken. Wir mögen vielleicht nicht Harvard sein, aber auch bei uns hat der Fortschritt bereits Einzug gehalten.»
    «Das sollte keine Kritik sein, ich bin einfach nur überrascht. In Albanien befinden sich nämlich gewisse Dokumente, die ich für meine Dissertation einsehen

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