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Das Netzwerk

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Titel: Das Netzwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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hatten Mitglieder, ganze Zweigstellen, die aus Griechen, Armeniern, Kopten und Bulgarenbestanden. Aber es gab von Anfang an auch einen engeren Zirkel, der unter muslimischer Kontrolle stand. Diesen Kreis nannten sie
Merkezi Umumi
: Zentralkomitee.»
    «Woher wissen Sie das?»
    «Weil es in Ibrahim Temos Papieren steht, Miss Morgan.»
    «Wie? Da ist von zwei Ebenen die Rede?»
    «Es wird nicht explizit darauf Bezug genommen, aber das war auch gar nicht nötig. Alle Briefe sind in Code verfasst. Ich habe herausgefunden, dass es zwei verschiedene Codes gab: einen, der für alle galt, auch für die Christen, und einen für die Kerngruppe, der nur Muslime angehörten. Ich habe beispielsweise einen codierten Brief gefunden, der an die Zweigstelle in Kairo ging. Er warnt die Anführer davor, allesamt Muslime, Geheimdokumente an Kopten weiterzugeben.»
    «Weshalb waren die Muslime denn so misstrauisch?»
    «Sie hatten schlicht und einfach kein Vertrauen zu den anderen. Sie glaubten nicht daran, dass die nicht-muslimische Bevölkerung des Reichs tatsächlich einen modernen, fortschrittlichen Osmanenstaat anstreben konnte. Und sie vermuteten, dass die Griechen in Wahrheit für die Unabhängigkeit Griechenlands kämpften, die Armenier für die Unabhängigkeit Armeniens, die Bulgaren für ein freies Bulgarien und so weiter.»
    «Was ja auch der Fall war.»
    «Natürlich. Es war genau so.»
    «Wussten die Armenier und Griechen denn, dass sie innerhalb des Komitees eine Sonderbehandlung erfuhren?»
    «Vermutlich schon.»
    «Im Grunde sagen Sie mir also, dass die Mitglieder dieses Netzwerks edler Rebellen einander eigentlich von Anfang an an den Kragen wollten?»
    «Nein, nicht unbedingt an den Kragen. Aber die Saat des Hasseswar bereits gesät, ‹von der Adria bis ans Chinesische Meer›, wie es immer hieß. Bitte vergessen Sie nicht, was Sie mir versprochen haben, Miss Morgan. Sie dürfen keinem Menschen erzählen, was in diesen Unterlagen steht.»
    «Mein lieber Mr.   Papadapoulos, ich schwöre Ihnen von ganzem Herzen, dass ich niemandem von Ihrer Entdeckung erzählen werde. Inzwischen interessiere ich mich ohnehin mehr für die Gegenwart als für die Vergangenheit. Ich will diese Geschichte nicht neu erzählen – ich möchte nur verhindern, dass wir sie noch einmal durchleben müssen.»

VI
WILLIAM GOODE
    Washington/​Athen
    Istanbul/​Taschkent
    Juni   – September 1979
    28  In jenem Sommer begann ein sehr realer Krieg – in einem Land, dessen Nationalsport darin besteht, Polo mit einer toten Ziege zu spielen. Das Land hieß Afghanistan, und es sollte ihm ergehen wie vor ihm Vietnam und Algerien: Es gelangte bald zu trauriger Berühmtheit, nicht um seiner selbst willen, sondern wegen der Dummheiten, zu denen es eine größere Nation hinriss. Solche Länder schienen etwas an sich zu haben, das Logik und gesunden Menschenverstand außer Kraft setzte und potenzielle Eroberer zu einer ersten tollkühnen und verwegenen Tat verleitete. Die zog dann weitere solche Taten nach sich und immer weitere, bis schließlich Ruf und Vermögen einer Großmacht davon abhingen, ob es gelang, diese lästige kleine geopolitische Fliege zu erschlagen.
    Afghanistan war dem Rest der Welt, einschließlich der Sowjetunion, jahrzehntelang herzlich gleichgültig gewesen. Das Friedenskorps zeigte dort während der Sechzigerjahre sehr viel mehr Präsenz als der KGB, und selbst die Briten, für die Afghanistan einst der Dreh- und Angelpunkt gewesen war, der für die Balance zwischen dem russischen Zarenreich und dem britischen Empire in Indien sorgte, kümmerten sich längst nicht mehr darum. Ende der Siebziger allerdings hatten sich auch die Sowjets mit dem Virus infiziert, der große Nationen hin und wieder befällt und ihre sonst vorhandene natürliche Abwehrhaltung gegenüber Dummheit und Unvernunft erheblich schwächt. Sowjetische Medien ergingen sich in dunklen Andeutungen, dieAmerikaner hätten dort die Finger im Spiel, was ein entschiedenes sowjetisches Eingreifen erfordere. Es war von «finsteren Machenschaften gewisser westlicher Behörden» die Rede.
    Von da an war der Vormarsch der Dummheit nicht mehr aufzuhalten. 1978 hatte Moskau in Kabul eine kommunistische Regierung eingesetzt, die die aufstrebende islamische Bewegung in den ländlichen Gegenden aufhalten sollte. Doch die afghanischen Kommunisten schürten den muslimischen Widerstand nur immer weiter, bis Moskau schließlich vor der unschönen Wahl stand, entweder schärfer

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