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Das Netzwerk

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Titel: Das Netzwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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wollte   … einsehen will, meine ich.»
    «Und um welche Dokumente handelt es sich da?»
    «Die Ibrahim-Temo-Papiere. Er war einer der Begründer des Komitees für Einheit und Fortschritt.»
    «Ach! Das tut mir leid.»
    «Sie haben sie also nicht?»
    «Nicht mehr, Madame.»
    «Was heißt das?»
    «Wir hatten einen Teil der Temo-Dokumente hier bei uns, allerdings nur für kurze Zeit. Vor einem Monat waren wir aber leider gezwungen, sie nach Tirana zurückzuschicken.»
    «O nein!», rief Anna. «Wie furchtbar!»
    «Wir sind nun einmal eine sehr fortschrittliche Bibliothek.»
    «Aber jetzt werde ich die Papiere nie zu Gesicht bekommen. Albanien vergibt keine Visa an Amerikaner.»
    «Das tut mir wirklich sehr leid.»
    Anna war untröstlich. Sie spürte die besonders intensive Enttäuschung,die einen befällt, wenn man zu spät erfährt, was man hätte haben können, wenn man nur früh genug davon gewusst hätte. Selbst der schnippische Kurator merkte, wie nahe ihr das ging.
    «Darf ich Ihnen einen Vorschlag machen, Madame? Vielleicht möchten Sie sich ja mit dem griechischen Forscher unterhalten, der mit der Temo-Sammlung gearbeitet hat, als wir sie noch bei uns hatten?»
    Anna schöpfte etwas Hoffnung. «Ja, furchtbar gern, wenn das möglich ist.»
    «Ich werde gleich nachsehen, ob er da ist. Nehmen Sie doch bitte solange Platz.»
    Der Kurator verschwand in einem dunklen Gang und blieb zehn Minuten fort. Schließlich kam er mit einem großen und schlanken jungen Mann zurück, dessen farbloser Teint und stierer Blick aus tiefliegenden Augen auch ihn als professionellen Bücherwurm auswies.
    «Ich bin Lucy Morgan», sagte Anna, und der junge Büchernarr zitterte leicht, als er ihr die Hand gab. Er hieß Andreas Papadapoulos und promovierte, wie sich herausstellte, ausgerechnet über das Leben und Wirken des Ibrahim Temo. Anna wollte schon dazu ansetzen, den jungen Griechen über die Papiere auszufragen, doch der eulenhafte Kurator legte den Finger an die Lippen.
    «In den Bibliotheksräumen sind Unterhaltungen leider nicht gestattet», sagte er.
    Da Anna fest entschlossen war, zumindest aus zweiter Hand am Temo-Archiv teilzuhaben, brachte sie den scheuen Herrn Papadapoulos mit sanfter Überredungskunst dazu, mit ihr mittagessen zu gehen.
     
    «Sie haben also tatsächlich Sukutis Koffer gesehen?», fragte sie ihn, kaum dass sie am Tisch eines Straßencafés in der Nähe der Universität Platz genommen hatten.
    «Wie bitte?» Das kreideweiße Gesicht des bedauernswerten jungen Griechen wurde noch eine Spur bleicher.
    «Ach, kommen Sie, Andreas, Sie wissen doch genau, was ich meine. Den Koffer, in dem Ishak Sukuti die frühen Aufzeichnungen des Komitees für Einheit und Fortschritt verwahrt hat. Den Koffer, den er Temo schicken wollte und den Temo später aus dem Yildiz-Palast geholt und mit nach Rumänien genommen hat, von wo er schließlich in Albanien gelandet ist.»
    «Ach, den Koffer meinen Sie», sagte Andreas. «Woher wissen Sie denn so viel über Sukutis Koffer?»
    «Ich habe selbst einen Sommer lang in Istanbul danach gesucht, genauer gesagt in Beykoz, wo Temos Tochter lebt. Ich hatte gehofft, sie hätte ihn vielleicht.»
    «Natalia Temo.»
    Anna nickte. «Ja, genau, Natalia.» Dann kannte also auch er die ganze Geschichte. Obwohl Anna sich sagte, dass es keinen Grund gab, neidisch zu sein – schließlich war sie keine Doktorandin mehr und hatte kein akademisches Territorium zu verteidigen   –, störte es sie trotzdem, dass dieser verschüchterte griechische Nachwuchswissenschaftler etwas gefunden hatte, was eigentlich ihr zustand.
    «Also, erzählen Sie. Ich wüsste einfach zu gern, was das sagenumwobene Temo-Archiv enthält.»
    «Das ist schwer zu erklären.» Andreas Papadapoulos wirkte immer noch argwöhnisch. «Meine Forschungen sind noch nicht abgeschlossen.»
    «Machen Sie sich keine Sorgen, ich werde Sie ganz sicher nicht plagiieren. Wenn ich ehrlich sein soll, muss ich sogar zugeben,dass ich nicht mal mehr Doktorandin bin. Ich habe die Promotion abgebrochen.»
    «Oh.» Das schien ihn ein wenig zu beruhigen. «Nun, das eine oder andere kann ich Ihnen sicher erzählen. Die Albaner haben mir nicht alle Unterlagen zugänglich gemacht, und mir blieben auch nur wenige Monate, um sie durchzuarbeiten. Aber ein paar hochinteressante Entdeckungen habe ich schon gemacht.»
    «Erzählen Sie mir so viel wie möglich. Ich sterbe vor Neugier.»
    «Gut, dann werde ich Ihnen etwas davon erzählen.» Der junge Grieche

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