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Das Netzwerk

Das Netzwerk

Titel: Das Netzwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
Vom Netzwerk:
war sichtlich bemüht, einen guten Eindruck machen, vor allem auf diese hübsche, wenn auch etwas furchteinflößende Amerikanerin. «Ich habe herausgefunden, dass die Temo-Papiere fast die gesamte internationale Korrespondenz der Jungtürken zwischen 1889, dem Jahr ihrer Gründung, und etwa 1895 umfassen.»
    «Das weiß ich bereits, Mr.   Papadapoulos. Mit genau diesem Zeitraum wollte ich mich in meiner Dissertation beschäftigen.»
    «Ja, natürlich. Interessant sind die Unterlagen deshalb, weil sie belegen, dass die Jungtürken über ein Netzwerk aus Kontakten verfügten, das sich über sämtliche Provinzen des Osmanischen Reichs bis in die Gebiete des russischen Zarenreichs erstreckte. Ich habe viele Briefwechsel zwischen Untergruppen und Verbündeten des Komitees für Einheit und Fortschritt in den Papieren gefunden. Sie hatten Zweigstellen in Thessaloniki, in Izmir, Paris und London.»
    «Was ist mit Zweigstellen im Osten?»
    «O ja, auch dafür gibt’s Belege   – Briefwechsel mit verbündeten Gruppierungen in Baku, Taschkent und Buchara. Lauter Orte, die damals noch unter der Herrschaft des Zaren standen. Das Interessanteste aber ist, dass ich auch Korrespondenz mit Verbündetenaus christlichen Regionen gefunden habe, beispielsweise aus Eriwan in Armenien oder Tbilisi in Georgien.»
    «Dann erstreckte sich das Netzwerk des Komitees also über den gesamten Kaukasus und Zentralasien?», fragte Anna und dachte dabei an ein anderes Netzwerk – eines, das augenblicklich nur im Kopf von Edward Stone existierte.
    «Ja, ganz genau.»
    «Und es überquerte auch ethnische Grenzen.»
    «Wie bitte?»
    «Ich will damit sagen, diesem Netzwerk gehörten Völker an, die sich in anderem Zusammenhang keineswegs gut verstanden hätten. Armenier und Aserbaidschaner, Georgier und Tataren. Griechen und Türken.»
    «Ja. Das wird wohl stimmen, denke ich.»
    «Was denn? Stimmt es nun, oder stimmt es nicht?»
    «Auf einer Ebene: ja. Das Komitee für Einheit und Fortschritt befürwortete die Gleichstellung aller ethnischen Gruppen, die innerhalb der Grenzen des Osmanischen Reichs lebten: Armenier, Kurden, Griechen. Bulgaren, Kopten. Sogar Juden.»
    «Aber auf einer anderen Ebene stimmt es auch wieder nicht?»
    «Folgendes muss Ihnen klar sein, Miss Morgan. Die Mitglieder des Komitees für Einheit und Fortschritt waren Spione. Sie operierten grundsätzlich auf mehreren Ebenen.»
    «Ich glaube, ich kann Ihnen nicht ganz folgen.»
    «Sie kämpften gegen Abdülhamids Geheimpolizei und führten geheime Aktionen durch. Spione eben.»
    «Was Spione sind, weiß ich, Mr.   Papadapoulos.»
    «Nun, diese Jungtürken-Spione taten merkwürdige Dinge. Sie gaben beispielsweise Zeitungen in Paris und London heraus, in der Hoffnung, dass Abdülhamids Agenten sie bestechenwürden, die Zeitungen wieder einzustellen. Für die Einstellung einer Pariser Zeitung haben sie zehntausend Francs bekommen und verwendeten das Geld dafür, eine neue Zeitung aufzulegen. Außerdem bestachen sie selbst große europäische Tageszeitungen, den
Figaro
oder
Le Matin
, damit sie Gemeinheiten über den Sultan veröffentlichten. Sie streuten vorsätzlich falsche Informationen in einer europäischen Hauptstadt, um Abdülhamids Schergen damit abzulenken, und streuten dann in einer anderen Hauptstadt andere Informationen. Sie waren äußerst gerissen.»
    «Und wie war das mit dem Netzwerk? Sie sagten gerade, auf einer Ebene hätte das Komitee die Gleichstellung von Armeniern und Türken, Christen und Muslimen und so weiter befürwortet. Gab es da noch eine andere Ebene?»
    «Oh, das tut mir leid, aber das betrifft die Kernthese meiner Promotion. Darüber kann ich wirklich nicht mit Ihnen reden.»
    «Bitte.» Anna legte ihre Hand auf die des jungen Griechen. «Das Material gehört Ihnen ganz allein, ich werde nichts davon verwenden. Versprochen. Ich bin nur einfach so furchtbar neugierig.»
    «Ich sollte Ihnen das wirklich nicht erzählen.» Er war kurz davor nachzugeben. Es geht einem Griechen einfach gegen die Natur, einer Frau eine Bitte abzuschlagen, selbst wenn seine Leidenschaft eigentlich nur Büchern galt.
    «Bitte», sagte Anna noch einmal.
    «Gut, ich sage es Ihnen. Aber Sie müssen mir versprechen, keiner Menschenseele davon zu erzählen.»
    «Versprochen.» Anna hob die Hand wie zum Schwur.
    «Also gut. Das ganze Komitee für Einheit und Fortschritt war in Wahrheit nur ein Trick. Sie redeten von Gleichberechtigung, aber es war ihnen nicht ernst damit. Sie

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