Das Netzwerk
eine Verlobung geplatzt. Er hatte Stone und seine Mitverschwörer bis zum Erbrechen satt. Trotz ihrer hehren Sprüche hatten sie ständig den Daumen auf der moralischen Waagschale, um sie zu ihren Gunsten zu manipulieren. Er stand so heftig von Stones liebevoll gedecktem Frühstückstisch auf, dass das feine Porzellan des Teegeschirrs klirrte.
«Setzen Sie sich wieder», sagte Stone.
«Tut mir leid», sagte Taylor, «aber ich bin fertig mit Ihnen. Suchen Sie sich jemand anderen.»
«Setzen Sie sich», wiederholte Stone in jenem sonoren Ton, der ihm im Laufe seiner Karriere so oft den Weg geebnet hatte. Taylor ignorierte ihn.
«Ich gehe», sagte er. «Teilen Sie Anna das Problem mit dem Amenier mit, sonst machen Sie sich mich für immer zum Feind. Und ich warne Sie ausdrücklich davor, das auf die leichte Schulter zu nehmen. Mich können Sie nicht einfach zur Seite schieben wie ihre Freunde aus dem Country Club. Ich bin mindestens so hinterhältig wie Sie, und meine Karriere ist mir inzwischen genauso scheißegal wie die Ihre. Also sagen Sie es Anna. Kapiert?»
Stone gab keine Antwort, aber Taylor wusste genau, was er tun würde. Wenn es in Stones Charakter überhaupt eine verlässlicheKonstante gab, dann die, dass er stets auf seinen eigenen Vorteil bedacht war. Taylor betrat über die mit dunklen Steinen gepflasterte Terrasse das Haus und ging weiter zur Eingangstür, durch die er hinaus auf die morgendlich belebte N Street trat. Es war kein Neuanfang, denn dafür brauchte ein Mann von Taylors Alter und Temperament viel Zeit. Aber es war zumindest ein Ende.
42 Stone hatte vorgeschlagen, Anna an dem Ort zu treffen, wo sie einander vor fast einem Jahr zum ersten Mal begegnet waren: im Holiday Inn an der I-270. «Ist ja süß von Ihnen», bemerkte Anna spöttisch, als sie den Vorschlag hörte. Es schien wieder einer von Stones Tricks zu sein, und sie fragte sich, was der alte Mann diesmal von ihr wollte. Doch als sie das Motel mit seinen viel zu grellen Tapeten und dem schäbigen Mobiliar betrat, verspürte auch sie einen Anflug von Nostalgie, ähnlich dem Gefühl, das Menschen immer wieder zu Klassentreffen treibt: Obwohl man sich längst nicht mehr für die Schule oder die Leute interessiert, möchte man doch die Distanz ausloten, die man seither zurückgelegt hat.
Das Industriegebiet rund um das Motel sah genauso aus wie vor einem Jahr, höchstens noch etwas weniger einladend. Neben einem neuen mexikanischen Restaurant waren ein paar Bürogebäude hinzugekommen, um den frischgegründeten Firmen Platz zu bieten, die sich an den staatlichen Futtertrögen gütlich tun wollten. Die meisten hatten sich auf «C-3-I» spezialisiert, die neueste Errungenschaft der Verteidigungsindustrie: Die drei C standen für «communications, command, control», das I für «intelligence», Informationsbeschaffung. Eine weitere neue Firma,die ihren Sitz gleich gegenüber dem Holiday Inn auf der anderen Seite der Schnellstraße hatte, warb mit «bombensicheren» Telefax-Geräten, die selbst nach einem Atomschlag noch Nachrichten übermitteln konnten. Die Geräte kosteten mehrere hunderttausend Dollar pro Stück, doch die Marketingabteilung der Firma wies immer wieder gern darauf hin, dass für die nationale Sicherheit schließlich nichts zu teuer sei.
Stone wartete bereits im Zimmer, als Anna hereinkam. Vor einem Jahr war er ihr noch als unergründlich rätselhafte Gestalt erschienen – jetzt glaubte sie, ihn mindestens so gut zu kennen wie ihren Vater, wenn nicht sogar besser. Die tiefe Erschöpfung, die ihr bei der ersten Begegnung an ihm aufgefallen war, schien wie weggeblasen, und eine Art leeres Leuchten war an ihre Stelle getreten, wie man es oft bei frisch Pensionierten sieht, die gerade anfangen, ihre Zeit mit Golfspielen in Florida zu verbringen.
«Die Wogen werden sich schon wieder glätten», sagte Stone, nachdem er Anna zur Begrüßung die Hand gegeben hatte.
«Ich weiß nicht recht», sagte Anna. «Die stellen mir eine Menge Fragen, scheinen die Antworten aber alle schon zu kennen.»
«Sie müssen die ganze Sache eben ein wenig aufbauschen, dazu sind sie verpflichtet. Aber wenn sie damit durch sind, werden sie merken, wie unangenehm das für alle Beteiligten werden kann. Nicht nur für Sie und mich, sondern auch für den Direktor und den Präsidenten und vielleicht sogar den einen oder anderen Kongressabgeordneten. Dann kommen sie wieder zur Besinnung, und die ganze Aufregung wird sich nach und nach legen.
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