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Das Netzwerk

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Titel: Das Netzwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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auf dem Flug nach Washington ernsthaft überlegte, eine Exfrau anzurufen. Was Anna betraf, so versuchte er so gut es ging, nicht an sie zudenken. Irgendwie hatte er das Gefühl, sie tief verletzt zu haben, auch wenn er nicht wusste, durch was.
    Taylor hätte Stone am liebsten nicht getroffen, aber er wusste, dass sich das nicht vermeiden ließ. Allein schon deshalb nicht, weil er ihm berichten musste, was ihm sein Stellvertreter über den russischen Konsul in Istanbul und dessen Frau erzählt hatte. Also rief er ihn noch am Abend seiner Ankunft zu Hause an und wurde von ihm für den nächsten Tag zum Frühstück in seinem Haus in Georgetown eingeladen.
    Stone empfing Taylor so höflich wie immer. Es war einer jener wunderschönen Washingtoner Herbsttage, die mit ihrer warmen Luft und dem leuchtend blauen Himmel fast etwas Frühlingshaftes hatten. Stones Frau hatte das Frühstück in dem von einer alten, noch aus der Zeit des Bürgerkriegs stammenden Mauer eingerahmten Garten hergerichtet, der mit seinen sorgfältig gestutzten Ziersträuchern eine Oase der Ruhe inmitten des lauten, umtriebigen Georgetown war.
    Stone wirkte auf Taylor, als ob ihn die Vorgänge der jüngsten Zeit völlig unbeeindruckt gelassen hätten. Im Gegenteil, sie schienen ihm auf unerklärliche Weise sogar einen enormen Auftrieb verliehen zu haben. Am Abend seiner Karriere kam er sich wie eine letzte Bastion jener alten CIA vor, deren Kraft und Stärke mit dazu beigetragen hatten, die USA nach dem Zweiten Weltkrieg so rasch zu beeindruckender Größe aufzurichten. Dass die derzeitige Führung (die er für einen Club von Amateuren und Tölpeln hielt) ihm momentan nicht wohlgesinnt war, bestätigte nur sein Gefühl, moralisch im Recht zu sein. Der Vorwurf, gerade die Ideale und Institutionen verraten zu haben, zu deren Schutz die CIA ursprünglich gegründet wurde, ließ ihn vollkommen kalt. In Stones Augen war das legalistisches Geschwätz, das auf einem völlig anderen Wertekodexberuhte als dem, der ihn sein ganzes berufliches Leben lang geleitet hatte.
    Taylor sah sich außerstande, Stones freundliche Begrüßung mit seiner üblichen Herzlichkeit zu erwidern. Lange Zeit hatte er sich nichts sehnlicher gewünscht, irgendwann einmal zu den Stones in der CIA zu gehören, aber jetzt, an diesem sonnigen Herbstmorgen, war er sich nicht mehr sicher, ob er das noch konnte oder wollte.
    «Wie kommen Sie denn jetzt zurecht?», fragte der alte Mann.
    «Geht so», erwiderte Taylor. Er machte keinen Hehl daraus, dass es ihm nicht gutging. Er wollte Stone nichts mehr vorspielen.
    «Lassen Sie sich nicht unterkriegen, mein Junge», riet ihm Stone. Weil Taylor nicht genau wusste, was er antworten sollte, schwieg er. Er wollte das Gespräch so schnell wie möglich hinter sich bringen.
    «Ich muss Ihnen etwas Wichtiges mitteilen», sagte er.
    «Möchten Sie lieber Spiegel- oder Rührei?», fragte Stone ungerührt.
    «Ich esse keine Eier. Hätten Sie vielleicht ein Müsli für mich?»
    «Ein Müsli?», fragte Stone. «Ich weiß nicht, ob wir welches haben, aber ich kann ja mal meine Frau fragen.» Er schlurfte ins Haus und sprach mit seiner grazilen Gattin.
    «Sie sagt, wir hätten etwas, das Cheerios heißt, aber es ist schon ziemlich alt. Wollen Sie das haben?»
    Taylor nickte. «Ich muss Ihnen etwas Wichtiges erzählen», fing er wieder an.
    Dieses Mal schaffte es Stone, ihm zuzuhören. «Hoffentlich was Erfreuliches», sagte er.
    «Ich denke schon. Es ist etwas, das Sie vorhergesagt haben, deshalb vermute ich, dass Sie dahinterstecken.»
    «Tut mir leid, aber ich kann Ihnen nicht ganz folgen. Wovon sprechen Sie? Hier, nehmen Sie doch ein paar Beeren.» Er löffelte Taylor Heidelbeeren auf seinen Teller.
    «Erinnern Sie sich noch an Kunajew?», fragte Taylor. «Den russischen Generalkonsul in Istanbul mit seiner extravaganten Frau?»
    «Ja, natürlich erinnere ich mich an Madame Kunajewa, die ihre Verfolger an der Nase herumgeführt hat.»
    «Sie wurden jetzt nach Hause beordert. Ich schätze, dass die Sowjets auch Rawls abgezogen haben, aber ich konnte es vor meiner Abreise leider nicht mehr überprüfen. Auf jeden Fall hat ein Spezialteam vom KGB das Konsulat komplett auf den Kopf gestellt. Offenbar haben die Russen erkannt, dass wir sie an der Nase herumgeführt haben, und jetzt wollen sie alles wissen, was damit zu tun hat. Genau, wie Sie vorausgesagt haben.»
    Eigentlich hatte Taylor erwartet, auf Stones Gesicht den üblichen Ausdruck wohlerzogener

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