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Das Netzwerk

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Titel: Das Netzwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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obwohl er nicht die geringste Vorstellung hatte, was man in der Zentrale zu diesem Vorschlag sagen würde.
    «Können Sie mir das versprechen?»
    «Natürlich», sagte Taylor. Was hatte er schon zu verlieren?
    Der Türke lächelte durchtrieben und schob seinen Stuhl zurück. Im Aufstehen zog er einen Zettel aus der Tasche und legte ihn vor Taylor auf den Tisch. Darauf standen der Name des Antiquitätengeschäfts und eine genaue Beschreibung des Stuhls, den sich der Russe angesehen hatte.
    «Seien Sie unbedingt vorsichtig», bat Serif. «Falls die Sache auffliegt, wissen wir von nichts.» Damit drehte er sich um und verließ das Lokal. Taylor hätte ihn am liebsten geküsst. Serif hatte soeben einen völlig unerwarteten Farbtupfer in die nervtötende Malen-nach-Zahlen-Welt des Istanbuler CI A-Büros gebracht.
     
    6  Vor dem Hotel stieg Taylor wieder in den gepanzerten Chevrolet und ließ sich über die Dolmabahce-Straße bergab in Richtung Innenstadt fahren. Normalerweise störte es ihn nicht weiter, dass man dort regelmäßig im Stau stand, weil er dadurch Zeit hatte, den schönen Frauen auf der Straße hinterherzuschauen. Jetzt aber ging es ihm gehörig auf die Nerven,dass sie nur im Schritttempo vorankamen. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass es kurz nach drei war, damit blieben ihm noch etwa fünfzehn Stunden. Taylor streckte den Kopf aus dem Fenster und schrie einen Mann mit einem Gemüsekarren an, er solle gefälligst aus dem Weg gehen. Seine Augen brannten vom Wintersmog, der sich jeden November, wenn die frierenden Istanbuler ihre schmutzigen Kohleöfen anzündeten, über die Stadt legte und sich bis Mitte April praktisch nicht mehr verzog. Taylor kurbelte sein Fenster wieder hoch und blickte über das Wasser des Goldenen Horns hinüber zur Altstadt, deren Moscheen – die Hagia Sofia, die Sultan-Achmet- und die Sultan-Süleyman-Moschee – durch den Dunst gerade noch erkennbar waren. Ihre schlanken Minarette erschienen ihm wie die hinter einem Nebelschleier verborgenen Baumstämme eines steinernen Waldes.
    Byzanz. Die Stadt, in der die Spionage erfunden wurde, die Stadt, deren bloßer Name jahrhundertelang ein Synonym für Verrat und doppeltes Spiel war; die Stadt, die Yeats feinsinnig «das Kunstgebilde der Ewigkeit» genannt hatte; die Stadt, wo in osmanischer Zeit so gut wie alles geheim war, was hinter der «Hohen Pforte» vor sich ging; die Stadt, in der zur Zeit des vorletzten Sultans Abdülhamid   II. angeblich die eine Hälfte der Bevölkerung damit beschäftigt war, die andere Hälfte auszuspionieren. Was war aus diesem exotischen Reich der Janitscharen, Konkubinen und schwarzen Eunuchen geworden? Eine schmutzige Stadt mit gigantischen Staus und schweflig stinkendem Smog.
    Das war das eigentlich Erschreckende an Orten wie Istanbul: dass sie so gewöhnlich waren. Die Heimat des Serail war zu einem gewöhnlichen Entwicklungsland heruntergekommen, das politisch wie ökonomisch um sein Überleben zu kämpfenhatte. Es hatte einen gemäßigt links orientierten Premierminister, einen Haufen Schulden im Ausland und eine weltanschaulich entzweite Gesellschaft, deren linke und rechte Hälfte sich langsam zu zwei vollkommen gegensätzlichen Kulturen entwickelten. Kurz gesagt, die Türkei war auch nicht anders als viele andere mit den USA befreundete oder alliierte Staaten in den späten Siebzigerjahren. Darüber hinaus war sie aber ein Land, das zwischen allen Stühlen saß: zwischen Europa und Asien, zwischen Kapitalismus und Sozialismus, zwischen der Dritten und der Ersten Welt. Der Premierminister selbst war ein gutes Beispiel für die nationale Schizophrenie: Obwohl er als Amateurpoet schon T.   S.   Eliot und Ezra Pound ins Türkische übersetzt hatte, machte er keinen Hehl daraus, dass er die USA nicht sonderlich mochte.
     
    Als Taylor endlich zurück ins Konsulat kam, rief er sofort Timmons in Ankara an, aber der war nicht mehr in seinem Büro. Seine Sekretärin sagte ihm, dass er auf den Golfplatz fahren wollte. Auch gut, dachte Taylor. Timmons hätte ihm ohnehin nur Steine in den Weg gelegt. Taylor wusste genau, was jetzt zu tun war und – viel wichtiger noch – von wem es getan werden musste. Er verfasste eine Nachricht, in der er die Athener CI A-Niederlassung um die sofortige Inmarschsetzung von George Trumbo ersuchte, der dort in der technischen Abteilung beschäftigt war. Um sich abzusichern, schickte er je eine Kopie der Nachricht an Timmons und die Zentrale. Jetzt war es kurz nach

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