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Istanbul zum Geschenk gemacht hatte. Taylor und George hatten die Pistole in einem kleinen Laden in der Kapali Carsi gekauft und sie liebevoll präpariert. Die Wanze war so klein und so genial platziert, dass sie unmöglich entdeckt werden konnte. Und der Bulgare war von der Pistole so begeistert, dass er sie sich auf den Schreibtisch legte, wo sie eine Woche lang wunderbare Abhörergebnisse lieferte, darunter aber leider keine neuen Erkenntnisse über bulgarische Waffenlieferungen in die Türkei. Dann aber tat der Militärattaché etwas gänzlich Unerwartetes: Er nahm die Waffe mit nach Hause, besorgte sich etwas Schwarzpulver und eine Bleikugel und feuerte sie ab. Die alte Pistole explodierte in der Hand des Obersten, der dabei wie durch ein Wunder nicht ernsthaft verletzt wurde. Doch Georges schönes Mikrophon war natürlich hin.
Taylor hatte George das Band geschickt, auf dem die letzten paar Minuten vor der Explosion aufgezeichnet waren. Man hörte den Attaché fröhlich auf Bulgarisch vor sich hin plappern, hörte, wie der Lauf gereinigt und das Pulver und die Kugel hineingestopft wurden. Dann vernahm man Schritte, gefolgt voneiner langen Pause, in der der Oberst vermutlich draußen im Garten auf etwas zielte, und dann – BUMMMM! – einen gewaltigen Knall und anschließend nichts mehr, nur eine entsetzlich leere Stille. Taylor hatte das lustig gefunden, aber George war verdammt sauer gewesen. Für ihn waren seine Mikrophone wie Kinder, die er mit viel Liebe darauf vorbereitete, in die weite Welt hinauszugehen, und es tat ihm jedes Mal in der Seele weh, wenn eines von ihnen vor der Zeit sterben musste.
Raschen Schrittes verließen sie den Flughafen.
«Dann lass uns mal an die Arbeit gehen», sagte George eifrig, als sie im Wagen saßen.
«Dazu ist es noch etwas früh», erwiderte Taylor mit einem Blick auf die Uhr. Es war gerade mal Viertel nach neun, und das Treffen mit den beiden türkischen Agenten in der Horhor-Straße war erst für Mitternacht anberaumt. Sie hatten also noch fast drei Stunden totzuschlagen.
«Hast du schon was gegessen?»
George nickte.
«Dann isst du eben nochmal», sagte Taylor.
Sie gingen in ein Fischrestaurant in Kumkapi, einem Altstadtviertel am Ufer des Marmarameers, in dem mit Armeniern, Georgiern, Bulgaren und Kurden ein bunter Mischmasch verschiedenster Nationalitäten lebte. Taylor entschied sich für das Restaurant Ucler, das von drei albanischen Brüdern geführt wurde. Die Albaner wirkten ziemlich nervös und spähten den ganzen Abend über hinaus auf die Straße, als erwarteten sie, jeden Augenblick Ärger zu kriegen.
«Was haben die denn?», erkundigte sich George, als wieder einer der Brüder zur Tür ging.
«So sind die Leute hierzulande nun mal, falls es dir noch nicht aufgefallen ist», erwiderte Taylor. «Hier traut keiner dem anderen.Die Albaner hassen die Bulgaren, die Bulgaren hassen die Türken, die Türken hassen die Kurden, und die Kurden hassen die Armenier. Deshalb lassen sie sich keine Sekunde lang aus den Augen. Wir können uns das zunutze machen, indem wir die einen gegen die anderen ausspielen.»
Weil die albanischen Restaurantbesitzer sich so sehr dafür interessierten, was auf der Straße los war, vergaßen sie fast die beiden Amerikaner in ihrer Gaststube. Taylor war das nur recht, denn so konnte er George in aller Ausführlichkeit mit den Einzelheiten der geplanten Aktion vertraut machen. Er erzählte ihm von dem sorglosen sowjetischen Diplomaten, der sich im Basar den antiken Stuhl angesehen hatte, schilderte ihm, wie das Antiquitätengeschäft aussah und wie er mit Hilfe der türkischen Agenten plante, nachts in das Gebäude einzudringen.
George nickte und brummte zustimmend, während er seinen Fisch aß. Dafür, dass er schon gegessen hatte, legte er einen erstaunlichen Appetit an den Tag. Erst nachdem er einen ganzen Blaubarsch sowie ein Dutzend großer Garnelen verputzt hatte, legte er das Besteck beiseite und erklärte, dass er nun nicht mehr könne. Zum Essen hatte er zwei doppelte Wodka getrunken, gefolgt von einer halben Flasche Wein, und zum Abschluss genehmigte er sich einen weiteren doppelten Wodka. Taylor hatte nichts dagegen einzuwenden. George war schließlich Profi, und wenn er unbedingt einen in der Krone haben wollte, bevor er ein hochkompliziertes Mikrophon an einem hundert Jahre alten Möbelstück versteckte, dann war das seine Sache. In der CIA gab es heutzutage genügend Kindermädchen und Besserwisser, zu denen Taylor
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