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Das Netzwerk

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Titel: Das Netzwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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Dietriche aus Federstahl, die nur wenige Millimeter dick waren und rautenförmige, quadratische oder halbkugelförmige Köpfe hatten. Mit ihnen konnte man an den Schließstiften des Schlosses herumprobieren, während ein L-förmiges Spannwerkzeug es sanft aufdrückte.
    Das erste Schloss zu knacken erwies sich als Kinderspiel. George spritzte etwas Graphit hinein, brachte das Spannwerkzeug an und wählte einen Dietrich mit dreieckigem Kopf. Er steckte ihn ins Schloss und schob ihn dann rasch nach vorn, was unter Fachleuten als «Harken» bezeichnet wird. Beim vierten Harken ging das Schloss auf.
    George machte sich sofort ans zweite Schloss, das sich aber auch mit mehreren Dutzend Versuchen nicht öffnen ließ.
    «Pilzstifte», sagte er leise zu Taylor, nachdem er es mit weiteren Dietrichen versucht und das Schloss schließlich einer genaueren Inspektion unterzogen hatte.
    «Ist das schlimm?»
    George nickte. Im Gegensatz zu normalen Schließstiften, die gerade und glatt waren und sich von den Dietrichen leicht nach oben schieben ließen, blieben Pilzstifte bei dieser Aktion gerne auf halbem Weg stecken.
    Taylor sah auf die Uhr. Es war Viertel vor eins. George plagte sich nun schon seit zwanzig Minuten mit dem zweiten Schloss herum, während unten im Erdgeschoss Hassan und der Nachtwächter angeregt über die Anhänger der beiden rivalisierenden Istanbuler Fußballvereine – die Hooligans von Fenerbahce und die Gentlemen von Galatasaray – diskutierten. Das war ein äußerst beliebtes Gesprächsthema in Istanbul, doch Taylor wusste auch, dass es irgendwann einmal erschöpft sein würde. Und dann würde der Wachmann zu seiner nächsten Runde aufbrechen. Er sah noch einmal auf die Uhr und blickte dann zu George hinüber.
    «Ich mach’s mit der Pistole», flüsterte der.
    Mist, dachte Taylor. Der wird doch wohl nicht das Schloss aufschießen?
    George griff wieder in seine Tasche und holte ein kleines, nur entfernt an eine Pistole erinnerndes Werkzeug mit gedrungenem Lauf und einem großen Abzugshebel heraus. Taylor griff nach seinem Arm, um ihn aufzuhalten, doch George legte nur den Finger an die Lippen.
    «Entspann dich», sagte er leise. «Das ist bloß eine Lockaid-Pistole.» Jetzt erkannte auch Taylor das Werkzeug. Es war ein automatischer Schlossöffner, aus dem nach Drücken des Abzugs ein schmaler, gerader Dorn herausschoss und die Schließstifte nach oben schob. Das einzige Problem dabei war, dass dieser Vorgang einigen Lärm machte.
    Unten wurden die Stimmen lauter. Hassans halbe Stunde war fast vorbei. Der Nachtwächter entschuldigte sich wortreich, erhabe die Unterhaltung sehr genossen, und vielen Dank auch für den Whiskey, Bruder, aber nun müsse er wirklich wieder seine Runde machen. Hassan bot ihm noch einen letzten Schluck an, aber der Nachtwächter lehnte ab. Taylor beugte sich zu George hinüber. «Jetzt!», flüsterte er.
    George grinste schwach. Er schob die Mündung der Lockaid-Pistole in das Schloss und betätigte den Abzug. ZACK! George drehte sein Spannwerkzeug, und auch das zweite Schloss ging auf.
    Von unten waren Schritte zu hören. Der Nachtwächter begann seinen Rundgang im Erdgeschoss. Taylor stieß George an, der öffnete leise die Tür, und die drei schlichen sich auf Zehenspitzen in das Antiquitätengeschäft und schlossen die Tür hinter sich. Der Nachtwächter kam langsam die Treppe herauf. Taylor bedeutete den anderen, sich hinter großen Möbelstücken flach auf den Boden zu legen, bis der Mann an der Tür vorbei war. So lagen sie da und lauschten den Schritten des Nachtwächters, als Taylor auf einmal die Strickleiter einfiel.
    Die Schritte wurden lauter, dann verstummten sie. Der Nachtwächter war am Fenster. Taylor hörte ein knarzendes Geräusch, das er zunächst nicht einordnen konnte, doch dann wurde ihm klar, dass das Fenster geöffnet worden war. Die Katastrophe war perfekt. Der Nachtwächter hatte die Strickleiter entdeckt und wollte nun sehen, wo die Eindringlinge hergekommen waren. Zehn oder fünfzehn Sekunden lang lauschte Taylor Georges Atemzügen neben sich, bis er plötzlich etwas Unverkennbares vernahm: das leise zischende Geräusch eines urinierenden Mannes. Offenbar hatte der Nachtwächter die Strickleiter doch nicht entdeckt und das Fenster nur aufgemacht, um nach draußen zu pinkeln. Der Kerl musste wirklich sturzbetrunken sein, dachte Taylor. Ein nüchterner Türke würde so etwas niemals tun.
    Der Rest der Aktion war kein Problem mehr. Taylor identifizierte

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