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rasch den Stuhl, ein wunderschönes Stück aus osmanischer Zeit mit filigranen Schnitzereien und orientalisch verschlungenen Perlmuttintarsien im dunklen Furnier. Man konnte Kunajew ja vieles nachsagen, dachte Taylor, aber Geschmack hatte er. George machte sich an die Arbeit und holte seine mobile Werkstatt aus der mitgebrachten Leinentasche. Dazu gehörte eine kleine, aber starke Taschenlampe, ein geräuscharmer Hochleistungsbohrer, eine ganze Palette von Holzlacken in den unterschiedlichsten Farbtönen und eine kleine Metallschachtel, in der sich seine elektronischen Schätze befanden.
Taylor sah voller Bewunderung zu, wie George sich mit Sorgfalt und Liebe ans Werk machte. Erst bohrte er ein kleines, etwa zehn Zentimeter tiefes Loch in eines der Stuhlbeine, in das er dann einen winzigen, nur wenige Millimeter großen Sender schob, der Signale an das in einiger Entfernung installierte Empfangsgerät schicken würde. Anschließend bohrte er im 9 0-Grad -Winkel dazu ein zweites, praktisch unsichtbares Loch, dessen Durchmesser kaum größer als der einer Nähnadel war. Dort hinein praktizierte er vorsichtig das fadendünne Mikrophon und verband es mit dem im größeren Loch untergebrachten Sender. Es war eine hübsche, kleine Abhörvorrichtung, vielleicht nicht ganz der allerletzte Schrei, aber trotzdem äußerst brauchbar. Mit ihrer Hilfe konnte man diesen harmlosen Stuhl auch nach Wochen und Monaten noch per Funksignal aktivieren wie einen seit Jahren im Land befindlichen Schläfer, der erst durch einen Befehl aus der Zentrale zum richtigen Geheimagenten wird.
«Was haben die eigentlich für eine Frequenz?»
«Wer denn?»
«Das sowjetische Konsulat. Welche Frequenz verwenden die für ihren geheimen Funkverkehr?»
«Keine Ahnung. Wieso musst du das wissen?»
«Weil ich den Sender jetzt auf eine bestimmte Frequenz einstellen muss. Am liebsten hätte ich eine, die möglichst nah an der sowjetischen Frequenz liegt, denn dieses Funkspektrum überprüfen sie erfahrungsgemäß so gut wie nie.»
«Tut mir leid, für Frequenzen bin ich nicht zuständig.»
«Die Russen sind normalerweise ziemlich bequem», murmelte George vor sich hin. «Gut möglich, dass sie hier dieselbe Frequenz verwenden wie in Athen. Ich nehme mal eine aus dem benachbarten Spektrum und stelle die Sendestärke so niedrig wie möglich ein.»
George zog den Sender noch einmal aus dem Stuhlbein, verstellte etwas daran und schob ihn wieder zurück. Dann füllte er das Loch mit einem rasch trocknenden Holzkitt, den er mit einem Holzlack in exakt der Farbe des Stuhls übermalte. Hamid saß währenddessen still auf dem Boden und sah ihm zu. Einmal zog er eine Zigarette aus der Tasche und betrachtete sie zärtlich und voller Vorfreude. Die würde er sich gleich genehmigen, sobald das hier erledigt war. Taylor sah auf die Uhr. Es war schon nach zwei. Spätestens bei Anbruch der Dämmerung mussten sie von hier verschwunden sein.
George war so in seine Arbeit vertieft, dass er die Zeit anscheinend völlig vergessen hatte. Als er mit dem einen Stuhlbein fertig war, installierte er in einem anderen ein identisches System für den Fall, dass das im ersten Bein nicht funktionierte. Dabei ließ er dieselbe Sorgfalt walten wie beim ersten Mal. Als er den Holzkitt sorgfältig mit Lack bestrich, war es halb vier.
«Ich sage das ja nur ungern», bemerkte George, während er darauf wartete, dass der Lack trocknete, «aber das ist schon eine ziemlich altmodische Aktion.»
«Wie meinst du das?», flüsterte Taylor.
«Heutzutage braucht man doch keine Mikrophone und Sender mehr, Al. Alles, was man benötigt, ist ein Resonator.»
Taylor ignorierte ihn. «Ist das jetzt endlich trocken?», fragte er ungeduldig und deutete auf die lackierte Stelle.
«Alles, was vibriert, kann nämlich auch als Mikrophon dienen, verstehst du?», fuhr George unbeirrt fort. «Eine Fensterscheibe zum Beispiel. Oder eine dünne Wand. Sogar der Wolframdraht einer Glühbirne ist im Prinzip ein winziges Mikrophon. Man braucht nur seine Schwingungen zu messen, was man zum Beispiel mit einem Laserstrahl aus einem Fenster auf der anderen Straßenseite machen kann. Oder man kann eine spezielle Richtantenne dafür verwenden. Ist das nicht irre?»
«Und wie!», zischte Taylor. «Jetzt muss das Zeug aber wirklich langsam trocken sein.»
«Vielleicht verstehst du jetzt, warum das hier streng genommen eine altmodische Aktion ist. Aber sie gefällt mir trotzdem.»
«Scheiß drauf», sagte Taylor.
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