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«Wir müssen doch nicht warten, bis das getrocknet ist, oder?» George grinste ihn freundlich an und packte seine Werkzeuge zusammen, während Taylor und Hamid schon auf dem Weg zur Tür waren. Als sie draußen das Fenster öffneten, hielt George sie zurück.
«Moment», flüsterte er. «Wir müssen erst noch die Tür abschließen.»
«Mach das mit deiner Pistole», gab Taylor zurück, und George zog ein Gesicht wie ein passionierter Angler, der statt einer handgebundenen Fliege einen gekauften Blinker verwenden soll. Missmutig drückte er die Mündung der Lockaid-Pistole in das Schloss.
ZACK! Taylor hoffte inständig, dass der Nachtwächter inzwischen eingeschlafen war. Das erste Schloss war zu. ZACK! Nun auch das zweite. Hamid öffnete das Fenster und ließ dieStrickleiter hinab. George stieg als Erster nach unten, gefolgt von Taylor. Als Letzter kam Hamid, der die Strickleiter löste und mit einer Klemme ein Seil am Fenstersims befestigte. Nachdem er das Fenster mit einem Spezialwerkzeug von außen geschlossen hatte, ließ er sich geschickt zu den anderen beiden herab und zog dann mit einem Ruck das Seil samt Klemme vom Fenstersims.
Als sie die Horhorstraße endlich hinter sich gelassen hatten, brach gerade der Morgen an. Einige wenige gelbe Taxis fuhren mit brummenden Dieselmotoren durch die Straßen, in denen es bereits nach frisch gebackenem Brot und türkischem Kaffee duftete. Taylor war bester Stimmung, und als Hamid ihm eine Zigarette anbot, nahm er sie, obwohl er schon seit über einem Jahr nicht mehr geraucht hatte. Warum auch nicht?, dachte er. Sie abzulehnen wäre metaphysisch gesehen kaum vertretbar gewesen.
Kunajew ließ sich den ganzen Vormittag über nicht in dem Antiquitätenladen blicken. Er rührte sich keinen Schritt aus seinem lachsfarbenen Bau an der Istiklal-Caddesi heraus, wie die gegenüber dem Konsulat postierten türkischen Agenten laufend berichteten. Taylor, der zusammen mit George in seinem Büro Kaffee trank und Doughnuts aß, wurde immer gereizter. Als es Mittag wurde, begann er ernsthaft daran zu zweifeln, dass der sowjetische Generalkonsul die Horhorstraße jemals wieder betreten würde. Das wäre schließlich ein Fehler gewesen, und die Sowjets machten keine Fehler. Das überließen sie den Amerikanern.
Schließlich – es war bereits kurz nach drei – kam die Meldung, dass Kunajew das Konsulat verlassen habe und in einer großen Limousine die Istiklal-Caddesi entlangfahre.
Wenig später berichteten die Türken, dass er im Distrikt Fatih gesichtet worden sei. Taylor hielt den Atem an, während die laufend hereinkommenden Funksprüche ihn darüber informierten, dass der sowjetische Diplomat an der Atatürkstraße nach links abgebogen sei und nun direkt auf die Horhorstraße zusteuere.
«Welche Straße?», bellte Taylor ins Funkgerät.
«Horhor.»
Taylor lächelte, und seine Augen funkelten. Endlich kam die Meldung, der Diplomat habe seinen Wagen geparkt und in Begleitung eines Leibwächters den Antiquitätenbasar betreten.
«Und jetzt kauf gefälligst den verdammten Stuhl, Arschloch!», fluchte Taylor.
«Hoffentlich ist der Lack auch sauber getrocknet», bemerkte George.
«Schnauze!», fauchte Taylor, wofür er sich aber gleich darauf entschuldigte.
Fünfundzwanzig Minuten später verließ Kunajew den Basar mit leeren Händen. Taylor hielt den Atem an, bis eine neue Meldung aus dem Lautsprecher krächzte. Hinter dem Diplomaten gehe sein Leibwächter, der einen großen, braunen Stuhl trage.
«Jawoll!», jubelte Taylor. «Kunajew, was bist du bloß für ein blöder Hurensohn!» Er schlug mit der Faust auf den Schreibtisch, gab seiner Sekretärin einen Kuss und stolzierte durchs Büro wie ein Gockel, der das Gefieder spreizt.
«Ich hoffe nur, dass das Mikrophon auch funktioniert», sagte George. «Ich hatte nicht viel Zeit zum Einbauen.»
«Natürlich funktioniert es», gab Taylor zurück. «Wir fangen gleich morgen mit dem Abhören an. Aber heute Abend wird erst mal gefeiert.»
«Was hast du denn vor?»
«Das will ich dir sagen, Georgie. Du gehst jetzt in dein Hotel und haust dich ein paar Stunden aufs Ohr, bevor ich dir das Nachtleben von Istanbul zeige.»
«Gibt es hier überhaupt ein Nachtleben?»
«Worauf du dich verlassen kannst. Ein besseres findest du nirgendwo auf der Welt. Heute Nacht, mein Freund, wirst du so tief in die Verderbtheit der menschlichen Seele blicken wie noch nie zuvor in deinem Leben.»
«Meinst du? Ich war immerhin schon in
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