Das Netzwerk
schon etwas zielstrebiger Richtung Busen. Offenbar war er einer der Männer, denen man sagen musste, wann es genug war.
«Hör auf», sagte Anna.
Taylor lächelte. Es schien ihm keine Probleme zu bereiten.
Rund um den Wagen war es still, und über dem schwarzen Wasser des Bosporus bildeten sich in der winterlichen Kühle kleine Nebelwolken. Beim Weiterfahren dachte Taylor über Annas Geschichte von den Jung-Aserbaidschanern und den Jung-Turkestanern nach, über das Netzwerk, das vor fast hundert Jahren in Zentralasien existiert hatte. Und während er noch darüber nachdachte, kam ihm ein eigenartiger Gedanke. Er erinnerte sich an eine merkwürdige Begegnung einige Wochen zuvor, an den Kanadier, der vorgab, Filmemacher zu sein, und sich dabei so auffällig für Emigranten aus Zentralasien interessierte.
«Kann ich dich mal was fragen?», sagte Taylor. «Kennst du zufällig einen NOC namens Jack Rawls?»
«Nein. Aber als NOC geht man auch selten abends noch zusammen was trinken. Wir sollen schließlich anonym bleiben. Wer ist denn dieser Jack Rawls?»
«Wahrscheinlich niemand Wichtiges», sagte Taylor. «Ich bin ihm vor ein paar Wochen zufällig über den Weg gelaufen. Noch so ein Zentralasien-Fan. Ich dachte, vielleicht gehört er ja unserem Club an.»
«Keine Ahnung. Aber ich bin ja auch noch neu.»
Taylor hielt den Blick auf die kurvige Uferstraße gerichtet und dachte weiter über Rawls nach. Nein. Das konnte nicht sein. So gerissen war keiner im Hauptquartier.
«Vergiss das mit Rawls», sagte er. «Die Leute daheim wollen schließlich keine Turbulenzen in Taschkent riskieren, sie wollen einfach nur Oberwasser behalten. Und Zentralasien ist ohnehin Sperrgebiet.»
«Das habe ich auch schon gehört», erwiderte Anna. «Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob sich wirklich jeder an dieses Verbot hält.»
«Was meinst du denn damit?»
Anna schwieg einen Augenblick, dann sah sie Taylor an. «Jetzt muss ich dich etwas fragen», sagte sie. «Kennst du Edward Stone?»
«Den großen Zampano aus dem Hauptquartier?»
Anna nickte.
«Nein. Ich weiß zwar, dass es ihn gibt, aber ich habe ihn nie kennengelernt. Warum willst du das wissen?»
«Weil er sich auch für Zentralasien interessiert.»
«Ach, tatsächlich?», sagte Taylor gedehnt. «Erzähl mir mehr.»
«Das geht nicht, weil ich nicht mehr weiß.»
«Der alte Gauner», murmelte Taylor kopfschüttelnd. Vielleicht war ja doch noch Leben in den alten Knochen.
«Wahrscheinlich hätte ich dir das auch gar nicht erzählen dürfen.» Anna nahm sich vor, Stone eine Botschaft zu schicken, sobald sie wieder in London war, und ihm davon zu berichten, was Ali Ascari über Waffenlieferungen an der sowjetischen Grenze erzählt hatte. Vielleicht konnte sie diese kleine Unbedachtheit damit wiedergutmachen.
«Nein», sagte Taylor. «Wahrscheinlich nicht. Aber das gefälltmir ja so an dir.» Auch er nahm sich etwas vor. Er musste unbedingt einen bestimmten Gegenstand aus einem Wohnhaus unweit der Yeniceriler-Straße zurückholen.
Sie kamen kurz nach acht in Istanbul an und tranken noch etwas an der Hotelbar. Taylor beugte sich ganz nah zu Anna und redete leise auf sie ein. Es war eine Art Bettgeflüster, doch es endete nicht im Bett. Kurz vor zehn verabschiedete sich Anna. Ihr Flieger ging früh am nächsten Morgen, und anschließend musste sie sich in London damit befassen, die verwickelten Fäden ihrer gerade begonnenen Karriere zu entwirren. Einen One-Night-Stand in Istanbul mit einem windigen Typen wie Taylor konnte sie da wirklich nicht auch noch brauchen.
IV
RTACTION
Istanbul
März – Mai 1979
17 Am Tag, nachdem Anna Barnes Istanbul verlassen hatte, holte Taylor das Rawls-Band. Er hatte keine Ahnung, was darauf zu hören sein würde, und noch viel weniger, was er damit anfangen sollte. Auch nach mehr als einem Monat hatte das Gerät noch aufgezeichnet, genau wie George Trumbo gesagt hatte, aber nun stellte sich die Frage, wer das Abhörprotokoll davon anfertigen sollte. Timmons’ Techniker in Ankara kamen dafür nicht in Frage, denn die hätten mit Sicherheit unangenehme Fragen gestellt, und auch seine eigene Sekretärin wollte Taylor aus demselben Grund nicht mit dieser Aufgabe betrauen. Und so kämpfte er sich schließlich mit Hilfe der kryptischen Ratschläge, die George ihm von Athen aus telefonisch gegeben hatte, selbst durch die vielen Stunden mitgeschnittener Gespräche aus dem vergangenen Monat.
Schon nach kurzer Zeit war er so gefesselt,
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